Herz-Dame
einen Artikel aus den Fingern saugen«, erklärte Dylan frustriert.
Er öffnete seine Mailbox und überflog rasch den Eingangskorb.
»Das gibt es doch nicht«, murmelte er kopfschüttelnd, und Justin sah ihn fragend an.
»Was ist denn los?«
»Grace sollte bis achtzehn Uhr einen Entwurf vorbereiten, wir wollten den Artikel dann gemeinsam schreiben. Aber sie ist nicht da, und eine Mail habe ich auch nicht. Stattdessen liegt ihre Kündigung hier auf meinem Tisch.«
Justin warf einen kurzen Blick auf das Blatt Papier und ließ sich auf einen der Stühle vor dem Schreibtisch fallen.
»Wundert dich das wirklich? Nach allem, was passiert ist, kann ich verstehen, dass sie nicht länger hierbleiben will.«
»Denkst du, ich würde mir nicht schon genug Vorwürfe machen? Ich habe heute Morgen versucht, auf sie zuzugehen, ich hatte gehofft, wenn ich sie mitnehme, ergibt sich vielleicht eine Gelegenheit zum Reden. Aber sie war immer noch so sauer, dass sie mich hat abblitzen lassen – ich glaube, ich habe es gründlich verbockt.«
»Das sehe ich auch so«, kommentierte Justin trocken. »Vielleicht hättest du ihr doch besser sagen sollen, dass du der Sohn vom Chef bist.«
»Ja, hätte ich. Aber ich wollte eben sicher sein, dass sie nicht nur hinter meinem Geld her ist, so etwas hatte ich schon zur Genüge, wie du weißt«, entgegnete Dylan, während er nervös mit einem Kugelschreiber herumspielte. »Trotzdem habe ich irgendwie ein ganz komisches Gefühl, es passt einfach nicht zu ihr, dass sie so mir nichts, dir nichts alles stehen und liegen lässt und abhaut, egal wie wütend sie auf mich ist. Bisher hat sie die Arbeit immer über unsere persönlichen Streitigkeiten gestellt, und bis zum Ende der Kündigungsfrist sind es ja noch ein paar Tage.«
»Jetzt komm schon, mach dir keine Gedanken, vielleicht wollte sie dir einfach nur einen kleinen Denkzettel verpassen. Lass uns einfach mal draußen auf ihrem Schreibtisch nachsehen, vermutlich liegt der Entwurf für den Artikel da irgendwo herum«, schlug Justin vor, und Dylan nickte.
»Ja, wahrscheinlich hast du recht.«
Zusammen gingen sie nach draußen und kramten eine Weile auf Graces Schreibtisch herum.
»Vergiss es, da ist nichts«, sagte Dylan enttäuscht, »Es gefällt mir auch nicht, hier in ihren Sachen herumzuschnüffeln.«
Im gleichen Moment pfiff Justin überrascht durch die Zähne.
»Ich glaube, das hier solltest du dir mal anschauen«, murmelte er unbehaglich und drückte seinem Freund Bobs Brief in die Hand, den er aus dem Papierstapel gefischt hatte.
Dylan warf einen kurzen Blick darauf und schüttelte ungläubig den Kopf.
»Das darf doch wohl nicht wahr sein – sie ist einfach ohne mich dort hingefahren.«
Kapitel 28
G egen achtzehn Uhr erreichte Grace das ehemalige Arbeiterviertel und stand kurz darauf vor dem alten Haus.
Mit einem flauen Gefühl im Magen stellte sie ihren Wagen davor ab und ging zögernd auf den Eingang zu. Schon bei ihren bisherigen Besuchen mit Dylan hatte sie immer ein beklommenes Gefühl gehabt, und jetzt, wo sie sich so ganz alleine in dieser unheimlichen Gegend aufhielt, verstärkte sich dieses Empfinden noch um ein Vielfaches.
Vorsichtig öffnete sie die Tür und stellte erleichtert fest, dass Bob bereits da war, aus dem hinteren Raum sah sie einen gedämpften Lichtschein in den Flur fallen.
»Bob, ich bin es«, machte sie sich leise bemerkbar, um nicht Gefahr zu laufen, dass er ihr vor Schreck irgendetwas über den Schädel hauen würde.
»Wo is denn Ihr Freund?«, fragte Bob anstelle einer Begrüßung, als sie den Raum betrat.
»Er ist nicht mein Freund«, wollte sie schon unwirsch erwidern, doch sie schluckte die Bemerkung schnell herunter.
»Dylan ist noch unterwegs, deswegen bin ich alleine hier«, erklärte sie stattdessen, und wünschte sich insgeheim, sie hätte ihn doch angerufen.
»Na gut Lady, is ja auch egal«, er kratzte sich nachdenklich am Kinn, »ich kann das genauso gut Ihnen erzählen, aber Sie sollten vorsichtig sein.«
»Was gibt es denn?«, fragte sie nervös.
»Also der Kerl, von dem ich euch erzählt hab, ich weiß jetz wer er is«, erklärte er leise, »und ihr kennt ihn auch. Deswegen bin auch erstmal untergetaucht, ich hatte ziemlichen Schiss.«
Irritiert schaute sie ihn an. »Das verstehe ich nicht – wieso kennen wir ihn?«
»Er war bei euch, an dem Tag, als ich mich zusammen mit der verrückten Sally mit euch treffen wollte.«
Krampfhaft versuchte Grace sich zu erinnern, wovon er sprach, und
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