Herz des Himmels (German Edition)
werden.“
Kaine verlor sich in Kaithlyns hellen Augen. Endlich begriff er, dass es kein Mitleid war, das er dort immer zu sehen geglaubt hatte. Es war Zuversicht. Vertrauen. In ihn. Wie konnte sie nur? Seine Lunge fühlte sich wie mit Blei gefüllt an, als würde das Atmen ihn ersticken. Eine Weile standen sie da und sahen einander nur an. Kaithlyn zählte die Sekunden zusammen mit ihren Herzschlägen. Kaine brach die Verbindung als Erster, aber Kaithlyn war es, die sich dafür entschied zu gehen. Kaine Zeit zu lassen. Sie war sich sicher, dass diese kurzen Momente genügt hatten, um Kaine zu überzeugen, dass sie sein Geheimnis bewahren würde und vielleicht auch etwas mehr.
Razzu
Natürlich verpasste Kaithlyn ihre erste Unterrichtsstunde. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis einer der Dienstboten ihr erklären konnte, wo das Ruhezimmer lag und wie man am schnellsten dorthin kam. Unschlüssig stand sie vor der verschlossenen Tür, als habe sie Angst dem gegenüber zu treten, was sie dahinter erwartete. Vielleicht hatte sie das tatsächlich. Er hatte Kaine vergiftet, bei seinem so genannten Training. Meister Razzu hatte kalte, berechnende Augen. Jeder seiner Blicke war wie eine Nadel, die sich in die eigene Haut bohrte, einen Nerv traf und darauf ausgerichtet war, etwas Unangenehmes auszulösen. Angst war nur ein kleiner Teil davon. Es war diese absolute Überlegenheit, die er ausstrahlte, die Kaithlyns Zorn herauf beschwor. Wie konnte sich jemand seiner selbst so sicher sein?
Green , rauschte der Name durch ihre Gedanken wie ein flüchtiger Geist. Ihr Herz machte einen Salto. Hatte sie gerade ihren zukünftigen Lehrer mit Anthony Green verglichen? Kaithlyn rieb sich die Arme, weil sie plötzlich eine seltsame Kälte spürte, die ihr die Arme hinunterlief. Sie bereute es, nicht mehr über Meister Razzu in Erfahrung gebracht zu haben. Das Geschenk, das Fyes Familie ihr gemacht hatte, erschien ihr plötzlich wie eine große Last, die man ihr auferlegt hatte. Eine Last, die sie lange Zeit mit sich herumtragen würde müssen. Kaithlyn atmete mehrmals laut aus und drückte dann die Klinke abrupt herunter. Egal wie lange sie wie eine Staue vor der Tür stehen bleiben würde, es würde nichts an der Tatsache ändern, dass Meister Razzu in dem Raum dahinter wartete. Und er wartete schon sehr lange. Sie hatte keinen genauern Blick auf eine Uhr geworfen und konnte die Zeit daher nur abschätzen, aber sie war sicherlich mehr als eine halbe Stunde zu spät. Razzu schien nicht der Typ Mensch zu sein, der eine Verspätung verzieh, sondern diese eher als Beleidigung auffasste. Als Kaithlyn eintrat kam ihr kein Schwall von wütenden Vorwürfen entgegen, sondern…Stille. Unheimliche, auf die Ohren drückende Stille.
Der Raum war Licht durchflutet, groß und erinnerte stark an ein Klassenzimmer. Die Fenster waren breit und berührten fast den Steinboden. Es gab ein paar Schubladenschränke, eine Tafel und Ohrensessel. Ungefähr zehn Einzelpulte hatten vorher vermutlich in Reih und Glied gestanden, doch nun waren sie unachtsam an die Wände geschoben worden, sodass die Mitte des Raumes frei war. Razzu saß dort im Schneidersitz auf einem großen, dunklen Kissen, hatte die Augen geschlossen und die Hände ruhig und gelassen auf den Knien liegen. Meditierte er? Seine Gesichtszüge waren so entspannt, dass er fast freundlich wirkte.
„Achtunddreißig Minuten und fünfzehn Sekunden.“ Kaithlyn schwieg. „Das ist die Zeit, die Sie sich verspätet haben.“ Sie brachte es nicht über sich, sich für ihr Verspäten zu Entschuldigen. Das hätte Reue bedeutet, aber Kaithlyn bereute ihre Unhöflichkeit nicht. In diesem Augenblick war ihr sogar ziemlich egal, was Razzu von ihr dachte. Er hatte die Augen noch immer geschlossen.
„Sehen Sie aus dem Fenster.“
Zögernd und mit der Frage nach dem Warum auf den Lippen, bewegte Kaithlyn sich auf die Fensterfront zu und hielt kurz davor inne. Als sie ihren Blick nach draußen gleiten ließ, begann sie die Stirn zu runzeln. Verwundert über die Aussicht, musterte sie die Umgebung genauer. Die Welt hatte ihre Farbe verloren. Wortwörtlich. Alles was sie sah, war nur noch in schwarz und weiß wahrzunehmen. Dazu kam die anhaltende Stille, als wäre das Leben ein Film, den jemand durch Zauberhand einfach angehalten hatte.
„Was ist das für Magie?“, fragte Kaithlyn und musste sich eingestehen, dass sie beeindruckt war. Hatte Razzu die Macht dazu, die Zeit zu beeinflussen? Ihr
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