Herz des Winters (German Edition)
– deine Narben waren dabei eine große Hilfe. Und bevor du schreist“, unterbrach er ihren noch nicht begonnenen Einwand mit erhobener Hand, „ich habe nicht vor, dieses Versprechen einzuhalten.“
Im Geiste sah sie wieder Augen, kalt und hart wie Eissplitter. Die Nekromanten hatten nicht den Eindruck hinterlassen, als würden sie unbeglichene Rechnungen dulden. Ihre Gedanken mussten mehr als deutlich auf ihrem Gesicht zu lesen gewesen sein, denn Berekhs Augen wurden plötzlich weich. Statt seine Hand sinken zu lassen, legte er sie an ihre Wange und strich sanft über ihre Narben.
„Ich habe bereits ein Leben gelebt, Daena. Eines, das länger war, als es hätte sein sollen, und auf dessen Ende ich nicht stolz bin. Ich fürchte den Tod nicht mehr. Bewegungsunfähig in einem Grab zu liegen, während nebenan die eigenen Kinder verrotten, lässt einen die Welt wieder aus einem anderen Blickwinkel sehen. Ich habe nicht vor, diesen Krieg zu überleben. Nur diesmal werde ich dafür Sorge tragen, dass nichts übrig bleibt, das wiederbelebt werden könnte.“
Fassungslos starrte sie ihn an. Hatte sie ihn nicht als feig tituliert? Feigheit war bei weitem kein genügender Ausdruck für diese egoistische Art des Auswegs. Sie schlug seine Hand fort und fauchte ihn an: „Dann geh doch alleine, wenn du unbedingt sterben willst! Ich habe mich nicht für ein Selbstmordkommando gemeldet.“
Ohne ihm die Gelegenheit zu einer Erwiderung zu geben, stürmte sie ins Unterholz. Abendessen und Ausrüstung waren vergessen, sie hatte nicht im Geringsten die Absicht, ihn die Tränen sehen lassen, die sich brennend einen Weg unter ihren Lidern hervor bahnten.
***
Er tat, als bemerkte er nicht, wie sie zum Lager zurückgeschlichen kam, und dafür war sie dankbar. An seiner Atmung konnte sie leicht erkennen, dass er nicht schlief, aber er regte sich nicht, als sie neben ihm unter die Decke kroch – zitternd vor Kälte, weil sie ihren Mantel zurückgelassen hatte. Trotzdem drehte sie ihm den Rücken zu, damit er ihr vom Weinen aufgequollenes Gesicht nicht sah.
Wenn er das alles auf sich genommen hatte, um endlich sterben zu können, hatte sie kein Recht, ihm deswegen Vorhaltungen zu machen. Noch dazu, wenn er sein zweites Leben für die Menschheit geben wollte.
Aber glücklich sein musste sie darüber nicht.
Das fiebrige Gefühl vergossener Tränen stieß sie früher als gedacht in den Schlaf, doch bereits der erste Tau kitzelte sie aus wirren Träumen wach.
***
„Ich rede nicht mehr mit dir“, warf sie ihm an den Kopf, sobald er sich zu rühren begann.
„Hmmmwaaas?“ Verschlafen fuhr Berekh sich durch das Haar, das mittlerweile in Stoppeln zu sprießen begonnen hatte. Missmutig nahm Daena zur Kenntnis, dass seine Züge zwar kantig, doch durchaus attraktiv wurden. Er würde kein Schönling werden wie Sikaîl, aber ein markantes Gesicht begann sich abzuzeichnen, das Krajas frivoles Verhalten erklären würde.
Der Gedanke an die Schwarzmagierin trug nicht gerade dazu bei, ihre Stimmung zu heben, also warf sie ihm ein wenig grob die Seile zu, mit denen er die Decken bündeln sollte.
„Ich komme mit dir nach Zlaival und wohin auch immer wir bis dahin noch gehen müssen. Aber erwarte nicht, dass ich am Ende deine Hand halten und zusehen werde, wenn du dich umbringen lässt.“
Ein Grinsen breitete sich auf Berekhs Gesicht aus. Mit den noch nicht ganz vorhandenen Wimpern klimpernd fragte er: „Aber sonst würdest du meine Hand halten wollen?“
In Ermangelung einer besseren Waffe warf sie ihm einen ihrer Schuhe ins Gesicht.
***
Die nächsten beiden Tage liefen sehr still ab. Dem inneren Drang folgend, sich fortzubewegen, reisten sie weiter, ohne ein bestimmtes Ziel im Auge zu behalten. Daena fiel es schwer zu akzeptieren, dass ihr Vorankommen nichts an ihrer Reisedauer ändern würde, da Magie für sie bisher nur in Geschichten und Büchern, aber nicht in der realen Welt existiert hatte.
Berekh dagegen war völlig von seinen wiedererlangten magischen und physischen Fähigkeiten gebannt. Was sich teilweise in nützlicher Weise auswirkte, wenn er beispielsweise Felsen und Baumstämme wahlweise aus dem Weg oder zu einem Lager bewegte, Feuer entfachte, Wasser erhitzte oder Beute einfach im Flug oder Lauf grillte. Die meiste Zeit jedoch genoss er nur seine Sinne, indem er Dinge betastete, kostete und beschnüffelte. Oder er fiel generell unangenehm auf durch Funken und Gegenstände, die wild durch die Luft flogen, unvermutet
Weitere Kostenlose Bücher