Herz des Winters (German Edition)
einem Grund. Dann jedoch erkannte sie das Entsetzen in ihren Blicken – die sich eindeutig auf Berekh richteten.
All die Bemerkungen, die er über sein früheres Leben gemacht hatte, ja selbst die Inschrift in seinem Grab hatte sie bisher nicht allzu ernst genommen. Menschen übertrieben gerne, besonders bei Dingen, die sich ihrem Verständnis entzogen. Aber diese hier waren seinesgleichen, oder sollten es zumindest sein.
Er verstärkte den Druck seiner Hand, die immer noch ihre Taille umfasst hielt, und machte sich daran, die Straße entlang in Richtung einer Allee von exotischen Bäumen zu gehen. An deren Ende lag ein gigantisches Gebäude, das wohl einen Palast darstellte und sich unschwer als Zentrum der Stadt erkennen ließ. Daena blieb keine andere Wahl, als ihm zu folgen, wollte sie sich nicht grob von ihm losreißen.
Unruhig sah sie zu der Menge, die sich mittlerweile versammelt hatte und die vor ihnen zurückwich, nur um sich gleich darauf hinter ihnen wieder zu schließen und dort eine menschliche Mauer zu bilden. In dem Gemurmel, das nun aufbrandete wie Meereswellen, konnte sie mehrfach Berekhs Namen ausmachen. Ebenso das Wort „Schlächter“.
Sie sah zu Berekh auf, doch seine Miene war hart und ausdruckslos, nur das Verkrampfen seiner Hand an ihrer Seite deutete darauf hin, dass auch er die Bezeichnung gehört hatte. Endlich begann sie zu begreifen, weshalb Kraja derart eingenommen von ihm gewesen war, dass sie einen so kostspieligen Zauber auf ein reines Versprechen hin gewirkt hatte. Zu der Zeit, als sie Berekh gekannt hatte, war er ihr offensichtlich nicht unähnlich gewesen. Vielmehr das, was sie zu sein erhoffte.
Aber diese Zeit war vorbei, er war ein anderer Mann geworden. Oder irrte sie sich?
Irrte er sich?
Es fiel ihr immer schwerer, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Wie sie den ganzen Weg durch die Allee zurückgelegt hatte, hätte sie beim besten Willen nicht sagen können. Irgendwie fand sie sich jedoch auf der breiten Treppe wieder, die zu dem großen, geschnitzten Tor hinauf führte. Der Zutritt durch selbiges wurde ihnen von einem merkwürdig aussehenden, wurmartigen Tier versperrt, dessen Kopf und vordere Gliedmaßen an die eines Katers erinnerten. Bei ihrem Näherkommen richtete es sich auf den beiden Pfoten auf, wodurch es in etwa die Höhe eines kräftigen Wolfes erreichte.
„Götter …“, entfuhr es ihr. Sie hatte immer gedacht, Tatzelwürmer wären ebenso wie Einhörner und anderes mythisches Getier nur dem Aberglauben der Menschen entsprungen.
Der Tatzel blinzelte ihr mit seinen großen, bernsteinfarbenen Augen freundlich zu, ehe er sich an Berekh wandte.
„Bredanekh In‘Jaat “, grüßte er den Magier. Sein pelziges Gesicht drückte weder Furcht noch Groll aus. „Ich sehe kein Blut an deinen Händen, doch wieder folgt dir der Tod. Was führt dich nach Liannon, Berekh, den man den Schlächter nennt?“
Berekh neigte den Kopf, eine Geste, die weit ehrfürchtiger und aufrichtiger wirkte, als sie es gegenüber Kraja getan hatte. Statt geheuchelter Unterwürfigkeit lag Respekt in seiner Stimme, als er antwortete.
„Das Blut, das ich vergossen habe, wird immer an mir kleben, Yiryat. Doch um Tode zu verhindern, bin ich hier. Ich muss mit dem Rat der Arkanen sprechen.“
„Wenn es Buße ist, die du suchst, wirst du hier nicht fündig werden“, erwiderte der Tatzel ruhig, aber bestimmt.
„Hilfe ist es, die ich suche, aber nicht für mich.“
Yiryats Katzenblick richtete sich wieder auf Daena. Lange Zeit sah er sie nur an, doch sie hatte vielmehr das Gefühl, er würde bis in ihr Innerstes blicken und dabei Dinge suchen und finden, von denen sie selbst nichts wusste. Trauer trat in seine Züge, als er schließlich nickte und zur Seite trat.
„So sei es. Das Glück und die Gunst der Götter mögen euch beistehen, und denen, die an eurer Seite kämpfen werden.“
Lautlos und ohne berührt worden zu sein, öffnete sich das Doppeltor hinter dem Tatzelwurm.
***
Sobald sie das Gebäude betreten hatten, wurde klar, dass Daenas Einschätzung über dessen Zweck weit gefehlt war. Hier regierte kein anderer Herrscher als das Wissen; Bücher reihten sich an den Wänden in mehreren Schichten bis unter die Decke.
Direkt vor ihnen begannen Reihen um Reihen von Regalen, die nicht weniger gut bestückt waren und die enorme Halle, in der sie standen, in ein unübersichtliches Labyrinth verwandelten. Nur ein breiter Mittelgang blieb frei und führte in mäandernden Mosaiken
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