Herz des Winters (German Edition)
an demselben Gitter gestanden hatte, zurückgelassen von den Eltern und ohne eine Vorstellung davon, was es dort drinnen erwarten mochte. Und sie erinnerte auch an das Mädchen, das Jahre später mit tödlichem Können und doch im Herzen noch so weit vom Erwachsensein entfernt von dort herausgetreten war.
Zum Glück nickte Berekh nur, ohne Fragen zu stellen oder dumme Bemerkungen zu machen. Seine zuckenden Mundwinkel verrieten jedoch den Kampf gegen Letzteres.
Daena straffte die Schultern und ging mit festen Schritten auf den Eingang zu. Erfahrung hatte sie gelehrt, dass man oft nur so tun musste, als hätte man das Recht, irgendwo zu sein oder etwas zu tun, damit niemand dieses Recht in Frage stellte. Und auch wenn ihr Wintermantel die Tätowierung verdeckte, wusste sie doch noch genug von den Bräuchen an der Akademie, um ihrem Auftritt Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Mit all der Autorität, die sie aufbringen konnte, schnauzte sie den lädiert aussehenden Jungen auf der anderen Seite des Gitters an: „Ich muss zu Meister Devan. Mach auf Bursche, ich hab’s eilig.“
Der Junge zappelte, aber damit war das Ausmaß der Bewegung, in die er sich versetzte, auch bereits erschöpft. „Ich darf niemanden hineinlassen, der sich nicht ausweisen kann“, erklärte er kleinlaut.
Daena stieß einen Seufzer aus. Kein Wunder, dass der Grünschnabel zum Wachdienst verdonnert worden war. Zaghaftigkeit brachte einen weder in der Akademie noch im wahren Leben weiter. Sie war selbst schon einmal am Tor gestanden, als sie versucht hatte, Trainingskämpfen auszuweichen. Dieses eine Mal hatte ihr genügt, doch es gab immer einige, die ihre Lektion nicht lernen wollten – wenn es zum Kampf kommt, darf kein Platz sein für Feigheit und Zögern.
„Wenn du spannen willst, leg dich am Teich auf die Lauer, ich ziehe mich jetzt nicht aus für dich“, fauchte sie. Ihr Mitleid mit seiner Situation hielt sich in Grenzen. Auch wenn er theoretisch verpflichtet war, nach ihrer Tätowierung zu fragen, geboten doch Verstand und Anstand, in gewissen Fällen darauf zu verzichten. Ein kalter Wintermorgen gehörte für Daena definitiv zu den Ausnahmefällen, besonders, wenn er mit einer Portalreise begonnen hatte. „Hol Devan eben her, wenn du genau wissen willst, ob ich hinein darf.“
Der Bursche erbleichte sichtlich und zappelte noch mehr. Die Entscheidung, den Meister unnötig ans Tor zu schleppen oder zu riskieren, einen eventuell unbefugten Gast einzulassen, benötigte keine zehn Sekunden. Er hastete zur Kurbel und begann, das Gitter hochzuziehen.
Daena wartete nicht ab, bis er sich damit zu Ende geplagt hatte, sondern duckte sich einfach unter dem Schmiedeeisen hindurch und ließ den verdatterten Jungen allein zurück. Mit sicherem Schritt drang sie in das Gassengewirr der Akademie ein und bemühte sich, diese Charade auch dann aufrechtzuerhalten, wenn niemand in Sicht war. Man konnte nie wissen, wer sich hinter Fenstern, Türen und Ecken oder auf den Dächern herumtrieb und sie von dort aus sehen könnte.
In der Akademie schien die Zeit stehen geblieben zu sein, seit sie zur Walz aufgebrochen war. Ihren Weg hätte sie wohl genauso gut gefunden, wäre sie blind gewesen. Sogar der lockere Stolperstein auf halbem Weg zwischen Schmiede und Brunnen war noch vorhanden – sie hatte immer schon vermutet, dass dessen einziger Zweck war, die Lehrlinge zu quälen, die gerade zum Wasserholen eingeteilt waren. Daena nickte denjenigen zu, die ihr begegneten, doch bekannte Gesichter befanden sich kaum darunter. Und diese schienen glücklicherweise nichts Merkwürdiges an ihrer Anwesenheit zu finden.
Die Alltagsgeräusche der Kampfausbildung wechselten einander ab, während sie den Komplex durchschritt. Das Surren fliegender Pfeile, das hölzerne Klacken von Stäben, die aufeinandertrafen, das Hämmern und Zischen der Schmiede und schließlich der kalte Klang von Stahl auf Stahl aus dem Übungsgelände der Fortgeschrittenen, hinter dem sich endlich die Arbeitsräume der Lehrmeister befanden.
Im Gegensatz zu dem Pomp der Magier herrschte hier praktisches Denken vor. Wie die Unterkünfte der Lehrlinge bestand auch dieses Gebäude aus meterdicken Mauern, die von Schießscharten und Pechnasen durchsetzt waren. Statt Marmorfliesen waren auf dem Boden nur die großen Steinquader zu sehen, die selbst einem Brand widerstehen würden. Teppiche würden sich nur in den privaten Räumen der Meister befinden, doch soweit kam sie nicht.
„Wohin so eilig,
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