Herz des Winters (German Edition)
seinen Augen gesehen. Bald würde er die Antwort kennen auf die Frage, die er sich selbst nicht zu stellen wagte.
Ja, sie war stärker als er.
Nicht was Muskeln anging, doch den Willen betreffend, und das war in einem Kampf oft das Ausschlaggebende.
Es war nicht seine Schuld. Männer wollten beschützen, das lag in ihrer Natur. Sie benötigten hübsche, fragile Frauen, nicht ein Mädchen, das sie in Grund und Boden prügeln konnte. Sikaîl war zu alt gewesen damals, hatte die Akademie verlassen, ehe sie ihr Training weit genug für ernste Duelle vorangebracht hatte, sonst hätte er das gewusst.
Unberührt hatten die Nekromanten sie genannt. Ungebeten drängte sich das Bild von Krajas üppiger Gestalt auf, lüstern und dominant. Wenn man Berekh Glauben schenken konnte, gab es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit, das ein Magier verspürte, und der Gier nach Macht und dem Ausmaß an Veränderung des eigenen Aussehens.
Daena konnte das gut nachvollziehen, schließlich hatte sie selbst sich im Training immer weiter über ihre Grenzen hinaus getrieben, um sich inmitten der hünenhaften Männer nicht so fehl am Platze zu fühlen. Hätte sie sich groß und verführerisch zaubern können, wäre sie mit Sicherheit der Versuchung erlegen.
Ob Kraja unter all dem Getue und den Illusionen auch verzweifelt, klein und hässlich war?
Hätte ich wie sie geendet, wenn mein Weg mich statt in die Akademie zu den Arkanen geführt hätte?
Daena schüttelte den Kopf, um die unwillkommenen Gedanken zu verscheuchen, und merkte erst jetzt, dass sie noch immer dem Saren zugewandt war. Der schien ihren geistesabwesenden Blick eindeutig missverstanden zu haben, denn ein breites Grinsen erstreckte sich über seine erhitzten Wangen.
Sie sah wieder nach vor, nur um dort dem undeutbaren Blick Berekhs zu begegnen.
„Was?“, fauchte sie ihn an.
„Nichts.“ Als ob ihr Gespräch nie unterbrochen worden wäre, begann er dem Lindwurm erneut von möglichen Abwehrmechanismen durch die Kombination von Technik und Zauberei zu erzählen.
***
Trotz ihrer Nähe zur Zivilisation mussten sie außerhalb der Dörfer rasten. Jede freie Fläche in den Häusern und auf den Plätzen war mit Flüchtlingen und Helfern gefüllt, die Versammlungshallen waren, wenn vorhanden, in Lazarette und Schlafplätze verwandelt worden. Immerhin bekamen sie frische Vorräte für die letzte Etappe, und das, obwohl sie selbst nichts mehr hatten, das sie im Tausch dafür anbieten hätten können.
Also sammelten sie sich erneut um ihr eigenes Feuer, umgeben von Schnee und Eis, bloß dass der drückende Wald allmählich scharf abfallendem Gebirge gewichen war. Seit dem Angriff der Morochai war es die erste Nacht, in der sich wieder ein Gefühl von Sicherheit einzustellen vermochte. Der letzte verbliebene Weinschlauch ging um, aber während selbst Berekh in einem Anflug von Brüderlichkeit in den Kreis aufgenommen wurde und seinen Anteil erhielt, verzichtete Daena auf den zweifelhaften Genuss des Branntweins. Es genügte, die anderen in ihrer Albernheit und Ausgelassenheit zu beobachten, um sich an die Wirkung zu erinnern, die der Alkohol beim letzten Mal auf sie selbst gehabt hatte. Sie wollte ihre Sinne beisammen und ihre Erinnerungen weit weg wissen.
Ihre Abstinenz hielt jedoch nicht Sikaîl davon ab, das Glück herauszufordern, das er ihn ihren Blicken versprochen gesehen zu haben glaubte. Daena hatte beide Hände voll zu tun, den benebelten Kämpfer auf halbwegs annehmbarem Abstand zu halten und seine Beteuerungen abzuwehren, die immer weniger Sinn ergaben, je weiter der Abend voran schritt. Da seine Versuche nicht gerade dezent waren, waren sie rasch das Unterhaltungsprogramm des Abends, bis Daena schließlich unter dem Grölen der Truppe Reißaus nahm.
Sie flüchtete in den Schnee, der sich in gnädigen Haufen weit über die Höhe ihres Kopfes türmte. Mit jedem Schritt musste sie stärker gegen die Übelkeit ankämpfen. Eigentlich hätte sie mit den Männern lachen sollen, ein Scherz auf Kosten eines betrunkenen Kameraden. Doch mit all den Zeugen und den Gedanken an Kraja noch so aufwühlend in ihrem Kopf, war ihr die körperliche Nähe unerträglich gewesen. Wie ein Stück Fleisch behandelt zu werden war eine Sache, sich selbst so zu sehen eine ganz andere. Dabei hatte sie die Nekromantin beneidet um diese Art der Aufmerksamkeit.
Daena hoffte inständig, das wäre ein Hinweis darauf, dass die Verbitterung doch die einzige
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