Herz des Winters (German Edition)
Gemeinsamkeit zwischen ihnen blieb. Sämtlichen Irrsinn musste sie nun wirklich nicht bekommen, ihr eigener genügte ihr völlig.
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Äußerlich sah Rinnval keineswegs wie die Festung aus, die Daena sich ausgemalt hatte. Eigentlich war es nichts weiter als ein etwas breiterer Spalt in einer Felswand, die bis in die Wolken aufragte. Selbst der schmale Trampelpfad, dem sie in seinen halsbrecherischen Windungen bisher gefolgt waren, schlängelte sich unbeeindruckt daran vorbei. Für ein friedliches und zurückgezogen lebendes Volk wie die Zlaiku aber war Tarnung sicherlich die beste Verteidigung, und die unzähligen Tonnen Gestein, aus denen der Berg über der Stadt bestand, bildeten einen festeren Wall als jedes Mauerwerk.
Hätten sich nicht Lager um Lager an den Fels gedrängt wie eine in der Bewegung erstarrte Brandung, wäre sie womöglich daran vorbei geritten. Der Tumult jedoch lenkte die Aufmerksamkeit automatisch auf den Eingang, sobald sie um die Biegung kamen. Der Gang, den die Zelte und Feuerstellen freiließen, kam einer Einladung gleich, und das bereitete Daena Sorgen. Fliegende Späher würden leichtes Spiel haben, die einst so geheime Stadt zu finden.
Ebenso beunruhigt war sie allerdings durch das massive Aussehen des Steins. Nach den Wochen unter freiem Himmel sehnte sie sich nach der Wärme und Trockenheit einer Unterkunft, doch der Anblick des Felsspalts erinnerte sie in erschreckendem Maße an die Minen der Morochai. Sie hatte ernste Zweifel, ob sie sich noch einmal in enge, finstere Steintunnel wagen konnte, ohne den Verstand zu verlieren. Abgesehen davon waren Engpässe im Fall eines Angriffs zwar einfacher zu verteidigen, sie konnten aber ebenso gut zu einer Falle werden, aus der es kein Entrinnen mehr gab.
Daena hoffte also inständig zweierlei Dinge, während sie auf die sich unter ihnen ausbreitenden Lagerstellen zuritten: Dass, wenn es schließlich zum Kampf gegen die Echsen kam, nicht Rinnval das Schlachtfeld war, auf dem er ausgetragen wurde, und dass sich in einem der Lager noch ein Platz für sie finden würde, der ihr ersparen würde, auch nur eine einzige Nacht hinter diesem Felsspalt zu verbringen.
Als sie näher kamen wurde jedoch deutlich, weshalb die einzelnen Lager sich so strikt voneinander getrennt hielten. Daena würde in keinem davon so leicht unterkommen.
Angesichts Yiryats Ankündigung des allgemeinen Hilfeaufrufs hatte sie die unübersehbare Überzahl der Menschen merkwürdig gefunden, war aber aufgrund ihrer bisherigen Reisen und Erfahrungen nicht überrascht gewesen. Mythische Wesen waren nicht häufig anzutreffen, und wie die meisten war Daena deshalb der Annahme erlegen, der Großteil davon würde nur in der Fantasie der Geschichtenerzähler existieren. Auf den Anblick, der sich ihnen hier bot, hätte kein Märchenbuch und keine Enzyklopädie sie vorbereiten können.
Am auffallendsten, obwohl am weitesten abseits gelegen, war eine Ansammlung gigantischer, teilweise geflügelter Leiber, bei denen es sich um eine ansehnliche Mischung aus Ozlakzbrats Artgenossen und anderen Verwandten zu handeln schien. Ihre Schuppen schillerten in allen Farben und gaben dem Schnee ringsum ein lebendiges Leuchten, das durch Feuersäulen hie und da verstärkt wurde.
Ihnen zunächst gelegen kampierte eine Gruppe, die ebenso unmissverständlich war, wenn auch aus anderen Gründen. Der aufdringliche Luxus schwebender, selbständig arbeitender Lagerausrüstung verriet die Mitglieder der Arkangilde, die in weit größerer Zahl als versprochen angereist waren und zwischen bunten und pompösen Gebilden umherwuselten wie exotische Vögel.
Je näher sie kamen, umso mehr der unterschiedlichen Lager konnte Daena zuordnen, andere jedoch waren ihr völlig fremd. In einem eisigen Tümpel planschten einige Wassermänner und Nixen, unweit davon hatten sich die Schrate einen Gerümpelhaufen gebaut, den sie mit einigen nebulösen Naturgeistern teilten, was sehr verwunderlich war. Nicht die gemeinsame Behausung, denn Waldbewohner waren, wenn schon nicht verbrüdert, so zumindest durch ihr gemeinsames Schicksal der bedrohten Heimat verbunden. Doch hinter ihnen erstreckte sich ein kleines, behaglich aussehendes Wäldchen, von dem sich sämtliche Gruppen tunlichst fernhielten.
Die Verwirrung löste sich, als einer der vermeintlich stillen Bäume mit seinem Geäst einen Troll beim Bein packte und ihn quer durch die Luft schleuderte. Der Troll flog in Richtung seiner Artgenossen, wo er kopfüber in
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