HERZ HINTER DORNEN
besser: Erzählt mir, was es mit dieser närrischen Entführung durch die Schotten auf sich hat und weshalb Rufus ausgerechnet Euch hinter ihr her geschickt hat, statt ihrer Familie Bescheid zu geben.«
Justin verzog den Mund. Ryan of Flythe hatte die Art eines Mannes, der nicht lange um den heißen Brei herum redete. Also beschloss er, ebenfalls keine überflüssigen Worte zu verlieren.
»Ich bin kein Ritter des Königs und deswegen konnte ich mich mit den Schotten anlegen, ohne den Frieden zu gefährden.«
»Und welches Motiv trieb Euch, Euer Leben für die Rettung einer Edeldame zu riskieren, die zu einer Familie gehört, für deren Mitglieder Ihr keine große Sympathie empfinden könnt?«, setzte der Baron unnachsichtig das Verhör fort.
»Der König hat sie mir als gute Partie unter die Nase gehalten, falls ich mich entschließen sollte, die Fronten zu wechseln«, entschied sich Justin für einen sorgsam begrenzten Teil der Wahrheit.
»Roselynne? Wie ist er dazu gekommen? Ist er wahnsinnig?«
»Das müsst Ihr ihn selbst fragen.«
Ryan of Hythe schnaubte und trat zum Fenster, wo er lange Zeit hinausstarrte und nachdachte. Dann kehrte er wieder an das Bett des Verwundeten zurück.
»Und warum das Kloster?«
»Sie wollte es!«
»Wusste sie von der Absicht des Königs?«
»Ich habe ihr nichts gesagt. Und sie hat mir den Eindruck vermittelt, dass sie ohnehin nicht an einer Ehe interessiert sei. Sie hat den Schleier freiwillig gewählt.«
»Narretei! Das Mädel ist ein Irrwisch, ein Schmetterling, ein Dickkopf, eine kleine Hexe, ein lästiger Kobold ... aber wahrhaftig keine Nonne!«
Die durchaus zutreffende Aufzählung der vielfältigen Gesichter seiner faszinierenden Liebsten ließ den Grafen den Mund verziehen. »Habt Ihr schon einmal versucht, ihr etwas auszureden?«
»Da sei Gott davor«, schüttelte sich Hythe vor dieser Aussicht. »Das soll ihre Mutter tun oder meinethalben ihr besorgter Vater. Obwohl ich fürchte, dass er im Umgang mit ihr nicht halb so streng ist, wie sein ständiges Gepolter vermuten lässt. Er sorgt sich um das Mädchen.«
»Der Lord ist hier?« Etwas in den Worten des Barons ließ Justin eben das befürchten, und die nächsten Worte bestätigten seinen Verdacht.
»Er hat für König Wilhelm gekämpft und tut es auch für seinen Sohn. Trotz seines Alters führt er ein gefährliches Schwert, und wenn Ihr Roselynne Schaden zugefügt habt, so fürchtet seinen Zorn!«
Der Graf hielt dem prüfenden Blick des Barons mit ausdruckslosem Gesicht stand. Roselynnes Vater konnte ihm nicht mehr zürnen als er sich selbst. Er wunderte sich lediglich darüber, dass der Lord seinem Schwiegersohn dieses Verhör überließ. So viel Geduld passte nicht zu Raynal de Cambremer.
»Er weiß nichts davon, dass Ihr in meiner Gewalt seid«, beantwortete Ryan auf Hythe die stumme Frage. »Bildet Euch nur nicht ein, ich wolle Euch vor ihm schützen. Ich tue es für meine Gemahlin. Sie würde ihren aufgebrachten Vater vor den Folgen allzu stürmischer Handlungen gewiss bewahren wollen, und solange ich nicht weiß, ob Ihr den Zorn des mächtigen Seigneurs auch wirklich verdient, werde ich dafür sorgen, dass er nichts von Euch erfährt.«
»Ihr liebt Sophia-Rose?« Justin d'Amonceux wusste nicht, welcher Impuls ihn dazu zwang, diese Frage zu stellen, deren Antwort er ohnehin kannte.
»Mehr als alles andere auf der Welt«, entgegnete der Baron ruhig. »Zweifelt nicht daran, dass ich für sie töten, lügen und sterben würde.«
Gelassene Würde verlieh seiner Entgegnung einen tiefen Ernst und der Normanne bekämpfte einen bitteren Anflug von Neid. Allein, er betraf nicht die längst vergessene Sophia-Rose, sondern ihre jüngere Schwester. Er hatte es versäumt, Roselynne so glücklich zu machen wie Ryan of Hythe seine schöne Gemahlin. Sollte er jetzt dazu beitragen, dass ihre Familie sie weiter bedrängte und noch betrübter machte?
»Das Mädchen hat den Schleier genommen, was wollt Ihr daran schon ändern?«, versuchte er Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.
»Eben das will ich mit eigenen Augen sehen und hören«, beharrte der Baron auf seiner Forderung.
»Und? Werdet Ihr den Entschluss am Ende respektieren, den sie getroffen hat, wenn es ihr wahrer Wille ist? Ihr werdet nicht erlauben, dass ihr Vater sie bedrängt, vielleicht sogar zwingt?«
Ryan of Hythe verengte die Augen und musterte den Grafen argwöhnisch. Er konnte nicht sagen, was es war, aber er hatte das deutliche Gefühl, dass er ihm
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