Herz in Gefahr (German Edition)
die Oberfläche, entrissen dem Meer sein jüngstes Opfer. Robin umklammerte den Mann. Seine Augen irrten suchend über das Meer nach den rettenden Holzplanken. Eine neue Welle donnerte heran. Robin nutzte die Kraft der Wassermassen, ließ sich und den Bewusstlosen hochheben, sah die Holzplanken, die vor ihnen trieben, raste gemeinsam mit dem anderen in ein Wellental. Wasser schlug über ihnen zusammen. Robin strampelte sich zurück nach oben, den Blick von unten auf die Wasseroberfläche gerichtet. Er sah, wie sich das Meer für einen Augenblick über ihm verdunkelte. Er stieß seinen Körper in kräftigen Bewegungen mit den Beinen nach oben, tauchte am Rand der Holzplanke auf, fasste nach dem Floss, ergriff es, hielt es fest, zog sich heran – und atmete erleichtert auf. Mit letzter Kraft schwang er sich hinauf, zog den Mann hinter sich her und ließ sich erschöpft auf die Planken sinken. Einige kurze Atemstöße lang gönnte er sich Ruhe, dann drehte er den Mann, der auf dem Bauch lag, herum und lächelte triumphierend.
»Du entkommst mir nicht, Matthew Warthorpe. Ich habe versprochen, dich lebend vor den Erzbischof von Canterbury zu bringen, und das werde ich auch tun. Aus deinem Mund will ich hören, wie du Andrew Wa-terhouse umgebracht hast, und ich will dabei in deine Augen sehen«, sagte er. Dann legte er beide Hände flach auf die Brust des Leblosen. Robin presste, drückte, pumpte, und endlich öffnete sich Warthorpes Mund und spie hustend und würgend einen Schwall Meerwasser aus. Für einen Augenblick öffnete Warthorpe die Augen, erblickte Robin über sich und sank wieder zurück in die Bewusstlosigkeit. Mit halb offenem Mund lag er da, und das Wasser, vermischt mit schaumigem Speichel, rann ihm über das Kinn.
Im selben Moment wurde hinter ihnen ein gewaltiges Krachen und Bersten hörbar. Die Kogge, das unter englischer Flagge fahrende Handelsschiff Princess of Ocean, brach ächzend und splitternd auseinander. Robin sah, wie sich der breite Rumpf nach links neigte, wie die restlichen Masten beim Aufprall auf das Meer zerbarsten, sah, wie sich der Rumpf mit Wasser füllte, wie die Schiffswände sich polternd lösten, Menschen über Bord gespült wurden. Gerade noch ragte die rechte Reling beinahe senkrecht nach oben, dann versank die Princess of Ocean mit dem Bug zuerst beinahe lautlos in den unergründlichen Tiefen des geheimnisvollen Meeres.
Wie gebannt starrte Robin auf dieses Schauspiel. Was nun passierte, konnte nur das Werk Gottes – oder das Werk des Teufels sein. Die letzte Planke der Handelskogge verschwand in den Fluten, und gleichzeitig hörte, wie von Zauberhand abgestellt, der Regen auf. Der Sturm heulte noch einmal los und verwandelte sich dann in eine Brise, die warm und sanft über das Meer glitt. Die Wogen glätteten sich, die See nahm wieder ihre vertraute dunkelgrüne Farbe an. Der Himmel riss auf und schickte, als wolle er um Entschuldigung bitten, kräftige Sonnenstrahlen auf die Erde. Die letzten dunklen Wolken lösten sich auf und machten einem strahlend blauen Horizont Platz. Robin schüttelte den Kopf. Es ist, als hätte ich einen bösen Traum gehabt und sei gerade aufgewacht, dachte er und sah sich verwundert um. Still und sanft lag das Meer vor ihm, als hätte es sich niemals in ein brüllendes, alles fressendes Ungeheuer verwandelt, als wäre nie ein Schiff in seinemgierigen Schlund auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Doch die Anwesenheit von Matthew Warthorpe, der noch immer wie schlafend auf den nassen Holzplanken lag, belehrte ihn eines Besseren.
Erst jetzt bemerkte Robin, wie erschöpft er war. Er fror in seinen Kleidern, die ihm schwer und nass am Körper klebten. Unversehens packte ihn ein Zittern, dass einem Schüttelfrost ähnlich war. Seine Zähne klapperten laut aufeinander, die Knie schlotterten. Robin legte sich neben Matthew auf die Holzplanken und ließ sich eine Weile im Meer treiben. Doch das Frieren wurde immer schlimmer. Es waren nicht die äußeren Temperaturen, die ihn zittern und bibbern ließen, sondern die Schwäche, die sich jetzt seines Körpers bemächtigte. Der lange, mühsame Ritt, der fehlende Nachtschlaf, die Kämpfe auf dem Schiff und gegen das Meer, all diese Anstrengungen forderten jetzt ihren Tribut. Robin sah hinauf zum Himmel und erkannte am Stand der Sonne, dass die Mittagszeit längst vorüber war. Er konnte nicht länger hier liegen bleiben und darauf warten, dass ihm jemand zu Hilfe kam. Ganz allein trieb er mit einem Bewusstlosen
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