Herz in Gefahr (German Edition)
auf brüchigen Holzplanken auf dem großen, weiten Meer. Wenn er jemals wieder Land unter seinen Füßen spüren wollte, musste er jetzt handeln.
Mühsam rappelte er sich hoch, noch immer am ganzen Körper zitternd, und sah zur Küste. Das rettende Ufer lag ungefähr eine halbe Meile vor ihm. Und obwohl er ein nicht ganz ungeübter Schwimmer war, erschien ihm diese Entfernung jetzt weiter als bis zum Mond. Ich muss es schaffen, dachte er. Ich habe keine andere Wahl. Er zog die ledernen Reitstiefel von den Füßen und warf sie achtlos ins Meer. Dann legte er sich auf den Bauch, ließ die Beine ins Wasser hängen, und trieb das Plankenfloß mit kräftigen Schwimmbewegungen an. Doch schon nach wenigen Metern fühlte er seine Beine schwer und schwerer werden. Immer tiefer sanken sie hinunter und machten jede Bewegung zur Qual. Robin zog seinen Körper ganz auf das Floß zurück, beugte sich dann bis zur Brust über den Rand der Holzplanken hinaus und versuchte, mit rudernden Armen vorwärts zu kommen. Aber auch diese Art der Fortbewegung hielt er nur für wenige Augenblicke durch. Die Kante des Floßes schnitt ihm schmerzhaft in die Brust. Robin rollte sich zurück auf die Planken und versuchte, sich selbst Mut zu machen.
Du schaffst es! Du kannst nicht kurz vor Schluss aufgeben! Los, beweg dich!, sprach er zu sich selbst. Er spürte sein Herz in der Brust hämmern, als wolle es zwischen den Rippenbögen hervorbrechen. Noch einige Minuten der Ruhe gönnte er sich, dann sprang er vom Floß ins Wasser, hielt sich mit den Armen am Holz fest und schwamm, den Blick fest auf die rettende Küste gerichtet. Er schwamm und schwamm und schwamm. Sein Kopf hatte alle Gedanken verdrängt, bis auf einen: Du musst schwimmen, sonst bist du verloren.
Robin zählte die Bewegungen seiner Beine. Nach zwanzig Schwimmstößen erlaubte er sich eine kurze Pause von zwei Atemzügen, dann schwamm er weiter und stieß das Floß mit jeder Bewegung ein kleines Stückchen weiter in Richtung Küste: eins, zwei, drei …
Das Atmen bereitete ihm Mühe. Immer wieder musste er sich dazu zwingen, ruhig und gleichmäßig Luft zu schöpfen. Irgendwann hatte er jegliches Gefühl in seinen Beinen verloren. Er bewegte sich wie eine Holzpuppe, die am Seil tanzte. Atmen, schwimmen, atmen, schwimmen. Er fror noch immer und hatte jegliches Gefühl für Raum und Zeit verloren. Durst, quälender Durst brannte in seiner Kehle. Seine Lippen waren trocken und rissig, die Augen brannten vom Salzwasser. Seine Schultern waren verspannt undschmerzten. Noch ein bisschen, nur noch ein bisschen musst du durchhalten, feuerte er sich an.
Langsam, ganz langsam kam die Küste näher. Robin konnte bereits die einzelnen Schiffe, die noch im Hafen lagen, voneinander unterscheiden. Und weiter schwamm er, bewegte die Beine, anziehen, abstoßen, eins, zwei, drei …
Längst hatte er vergessen, dass er fror. Eine lähmende Müdigkeit hatte ihn überfallen. Er hätte alles auf der Welt gegeben, um nur für einen Moment ausruhen und die Augen schließen zu dürfen. Doch er durfte sich keine Pause gönnen. Weiter, immer weiter musste er schwimmen. Die Sonne sank tiefer dem Horizont entgegen. Bald würde die Dämmerung einsetzen, der Abend hereinbrechen. Robin versuchte, sich abzulenken, seine Schmerzen und seine Erschöpfung zu vergessen. Er dachte an Bloomfield, an sein Herrenhaus, die blühenden Weiden und an den Geruch von frisch gemähtem Gras. Er dachte an Helen, die einen anderen heiraten wollte und eine Geldprämie auf seinen Kopf ausgesetzt hatte. Und hier, inmitten des Meeres, weit weg von all den Dingen, die im Alltag so große Bedeutung zu haben schienen, verzieh er ihr. Hier erkannte er, dass nicht verletzter Stolz und gekränkte Eitelkeit wichtig waren, sondern nur die tiefen und reinen Gefühle. Der Ozean hatte Robin gelehrt, wie winzigklein und zerbrechlich ein Mensch war, und hatte seine Probleme in die richtigen Dimensionen gerückt. Schwach und entkräftet trieb er im Meer, dem Tod näher als dem Leben, und erkannte die unbezwingbare Macht und Kraft der Liebe, die allen Schwierigkeiten zu trotzen schien. Sie allein war es, die zählte. Ja, er liebte Helen, so sehr, wie man nur einen Menschen lieben kann. Sie war alles für ihn, sie war sein Leben, seine Vergangenheit, die Gegenwart und auch die Zukunft. Mit ihr wollte er eine Familie gründen, mit ihr alt werden. Und erstjetzt begriff er vollends, dass auch Helen ihn Hebte, für ihn ihre Zukunft aufs Spiel gesetzt
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