Herz in Gefahr (German Edition)
kräftiger Sonnenstrahl und tanzte auf Sir Matthew Warthorpes Gesicht. Erschrocken riss er den linken Arm nach oben, um sich zu schützen, da fing sich im blutroten Stein des Ringes, den er am Finger der linken Hand trug, der goldene Lichtstrahl und ließ ihn aufleuchten und blitzen. Und im selben Moment kehrte inHelen die Erinnerung an den Traum zurück. Sie sah Matthew auf dem großen schwarzen Pferd auf sich zukommen, sah wie er die Hand zum Schlag erhob. Und das Traumbild vermischte sich mit der Erinnerung an die Szene auf der Waldlichtung, bei der Andrew zu Tode kam. Helen erkannte blitzartig, wonach sie so verzweifelt gesucht hatte: Der unbekannte Reiter im Wald und der Matthew ihrer Träume trugen den Ring an der Hand, mit der sie zum Schlag ausholten – und es war die linke Hand. Robin Bloomfield aber hatte das Schmuckstück mit dem blutroten, todbringenden Rubin an der rechten Hand getragen! Mit untrüglicher Sicherheit wusste Helen nun, wer der wirkliche Mörder ihres Bruders war: Sir Matthew Warthorpe, der Mann, mit dem sie hier stand, um ihm angetraut zu werden!
Die Erkenntnis kam mit einer solch gewaltigen Kraft über Helen, dass sie ohnmächtig zu Boden sank, noch bevor Pater Gregor Gelegenheit hatte, die Trauung zu vollziehen.
Robin war nun schon mehr als einen Tag im Augustinerkloster in Canterbury zu Gast, und die meiste Zeit davon hatte er in der Bibliothek verbracht. Er genoss die Stille, die in dem hohen Raum herrschte, den Geruch nach Pergament und Leder, in das die Bücher eingebunden waren, und das leise kratzende Geräusch, das entstand, wenn ein Federkiel über die Schriftrollen fuhr. Obwohl er zumeist nicht allein in der Bibliothek war, störten ihn die Mönche, die mit dem Kopieren und Illustrieren von Handschriften beschäftigt waren, kein bisschen. Ganz im Gegenteil, die ruhige Gelassenheit der Schreiber, zu denen auch Jeremy gehörte, die Beschaulichkeit und Stille ringsum wirkten auf ihn so entspannend wie ein langer, erholsamer Schlaf. Robin hatte seine Kräfte wieder gefunden und die Niedergeschlagenheit über den Entscheid des Erzbischofs überwunden. Er stand an einem Schreibpult, blätterte in den alten Schriften und dachte über seine Situation nach. Noch immer war ihm niemand eingefallen, den er um eine Bürgschaft bitten konnte, doch das beunruhigte ihn nicht mehr. Bis sein Recht auf Kirchenasyl abgelaufen war, blieb ihm noch eine Menge Zeit, und er gedachte, diese Zeit gut zu nutzen. Ihm würde im rechten Moment schon eine Lösung einfallen. Seine Fantasie, sein Mut und seine Kühnheit hatten ihn bisher noch nie im Stich gelassen. Und das Vertrauen in seinen Verstand, in die eigene Kraft und Stärke war ungebrochen.
Plötzlich wurde die beschauliche Stille durch rüdes Gepolter unterbrochen. Die Mönche und Robin schreckten hoch und lauschten angestrengt nach draußen, von wo der Lärm zu ihnen drang. Als der Name ›Bloomfield‹ erklang, ging Robin zur Tür, öffnete sie vorsichtig, schlüpfte hinaus und versteckte sich hinter einer Säule des lang gestreckten Ganges. Er spähte hervor und erkannte zwei von Sir Warthorpes Gefolgsleuten, die lautstark und wichtigtuerisch auf eine Audienz bei Thomas Bourchier bestanden. Schließlich trat der Erzbischof aus seinen Gemächern. Er empfing die beiden ungebetenen Besucher mit ausgesprochen kühler Zurückhaltung und machte keine Anstalten, sie in seine Räume einzuladen, sondern führte die nun folgende Unterredung vor den Ohren der vom Lärm angelockten Mönche mitten im Kreuzgang.
»Was wollt Ihr hier? Warum stört Ihr die Stille dieses heiligen Ortes?«, fragte er die beiden Männer streng.
»Wir kommen im Auftrag von Sir Matthew Warthorpe und dem Earl of Clifford. Ein Mörder hat bei Euch Unterschlupf gesucht, hörten wir, und bitten Euch, Ehrwürdiger Vater, ihn uns zu übergeben, damit er seiner gerechten Strafe zugeführt werden kann«, antwortete der Jüngere der beiden selbstbewusst.
Der Erzbischof holte tief Luft, und man konnte ihm ansehen, wie viel Mühe es ihm bereitete, nicht die Beherrschung zu verlieren.
»Ist einer von Euch zum Richter bestellt?«, donnerte er über den Gang, sodass das Echo unter der hohen Kuppel widerhallte.
»Nein, wir sind Gefolgsleute aus Warthorpe«, antwortete der andere eingeschüchtert.
»Also seid Ihr nicht berechtigt, einen Verfolgten in Empfang zu nehmen. Dies obliegt allein einem Vertreter des Gesetzes«, beschied ihnen der Bischof mit lauter Stimme. »Geht, geht schnell und
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