Herz in Gefahr (German Edition)
Warnung vernommen, nur das wusste sie noch mit Sicherheit. Aber eine Warnung wovor? Wenn sie sich doch erinnern könnte! Verzweifelt war Helen bemüht, sich den Traum zurück ins Gedächtnis zu rufen. Doch alles Bemühen war vergebens. Er blieb verschwunden. Helen seufzte und schloss wieder die Augen, in der Hoffnung, noch einmal dorthin zurückkehren zu können, wo das Geheimnis verborgen lag. Dochder Tag auf der Burg Waterhouse hatte längst begonnen. Aus dem Burghof drangen Stimmen und Hufgeklapper zu Helens Fenster herauf und störten ihre Ruhe. Schließlich gab sie es auf. Sie zog sich an und sah aus dem Fenster. Das Ketzergericht rüstete zum Aufbruch, und Helen erkannte an den erleichterten Mienen der Männer, dass sie froh waren, Waterhouse verlassen zu können. Helen blieb für einen Moment stehen und wartete, bis der kleine Tross mit dem Planwagen unter dem Torhaus verschwunden war, dann ging sie hinunter in die Halle, um zu frühstücken. Doch die Gedanken an ihren seltsamen Träum verfolgten sie.
Auch während der Seelenmesse, die Pater Gregor am frühen Nachmittag in der Dorfkirche für Margaret las und an der neben der Herrschaft und den Burgbediensteten alle Dorfbewohner teilnahmen, folgte ihr die Erinnerung wie ein Schatten, doch sie bekam sie nicht zu fassen.
Unter den meisten Dorfleuten war es inzwischen zu einem Stimmungswechsel gekommen. War es Pater Gregors Verdienst, der in seiner flammenden Predigt an die Zuhörer appelliert hatte: »Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein«, dass die braven Leute nun so viele Kerzen spendeten, wie es die Gemeinde lange nicht mehr erlebt hatte? Sogar die vorwitzige Töpfersfrau, die der Kinderfrau gestern noch ins Gesicht gespuckt hatte, schleppte zwei dicke, schwere Kerzen herbei und entzündete sie voller Reue. Die Scham über ihren Auftritt vom Tag zuvor stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
Hoffentlich ergeht es mir nicht wie ihr, dachte Helen im Stillen, hoffentlich tue ich heute nichts, was ich morgen bitter bereue. Nach der Messe pflückte Helen im Burggarten einen Strauß Maiglöckchen, Margarets Lieblingsblumen, um damit das Grab ihrer Kinderfrau zu schmücken. Als sie die Blumen niederlegte, war ihr,als spräche eine Stimme zu ihr, die der von Margaret zum Verwechseln ähnlich war.
»Hört auf die Stimme Eures Herzens, Helen!«, sagte die Stimme. Helen drehte sich nach allen Seiten um, doch sie war völlig allein auf dem kleinen Burgfriedhof. Sie bekreuzigte sich und sprach leise: »Danke, liebe Margaret! Ich werde mein Herz befragen.«
Dann verließ sie rasch die Grabstelle und lief hinunter zu dem Weidekätzchenbaum. Lange saß sie dort, in der gleichen Haltung wie in der Nacht zuvor, und hielt Zwiesprache mit Robin Bloomfield. Sie zwang sich, an ihn zu denken, sein Bild vor ihre Augen zu holen. Sie horchte still in sich hinein. Doch außer Schmerz, Hass und unendlicher Müdigkeit spürte sie keine Regung in ihrem Herzen.
»Robin Bloomfield, selbst wenn Ihr nicht der Mörder meines Bruders gewesen seid, so seid Ihr doch geflohen und habt mich mit meiner Trauer allein gelassen. Warum habt Ihr Euch auf die Flucht begeben, wenn Ihr doch frei von Schuld wart? Was sucht Ihr zu verbergen? Mein Glaube an Euch und Eure Liebe ist zerstört und lässt sich nicht reparieren wie ein kaputtes Spielzeug. Ich habe Euch vertraut. Mein Leben hätte ich für Euch gegeben. Und Ihr? Mag Margaret auch Matthew im Wald gesehen haben, so beweist das noch lange nicht seine Schuld. Als sie ihn erkannte, war Andrew schon tot. Kann sie ganz sicher sein, dass der erste und der zweite Reiter tatsächlich ein und dieselbe Person waren? Kann es nicht sein, dass Ihr, Robin Bloomfield, doch der Mörder gewesen seid, und Matthew wenig später zufällig an dieser Stelle vorbeikam? Den Schmerz, den Ihr mir so oder so bereitet habt, scheint mir die gerechte Strafe für meine Leichtgläubigkeit zu sein. Wie immer das Drama auch geschehen sein mag, ich will Euch vergessen! Und damit mir das so schnell als möglich gelingt, werde ich morgen mit Matthew Warthorpe vor den Altar treten.«
16. Kapitel
Der nächste Morgen begrüßte die Bewohner der Burg Waterhouse mit schlechtem Wetter, von den Alten auch ›Hexenwetter‹ genannt. Dichte Wolken, schwarz gefärbt, jagten am Himmel entlang, als wollten sie fliehen. Manchmal brach die Sonne zaghaft und als leichenblasse dünne Scheibe durch den bleigrauen Himmel hindurch und färbte die Ränder der drohend dunklen
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