Herz in Gefahr (German Edition)
Knaben. Ihre langen, schlanken Beine steckten in Reitstiefeln und einer eng anliegenden Hose. Das Wams saß locker darüber, sodass Helens Brüste gut verdeckt waren. Ihr langes Haar hatte sie gut unter derhohen Kappe verborgen, und auf ihrem Gesicht lag ein abenteuerlustiges, verschmitztes Lächeln.
»Gott zum Gruße, Ihr Leute«, antwortete Helen und sprang behände auf den Wagen. Dann brach sie plötzlich in glockenhelles Gelächter aus. »Von nun an dürft Ihr mich nicht mehr Herrin oder Mylady nennen«, erklärte sie. »Fortan bin ich der Lehrjunge Henry, und Gott allein weiß, ob ich jemals wieder Lady Helen sein werde.«
Lord Waterhouse sah den versiegelten Brief zuerst. Er. war nach dem Frühstück hinauf zu Helens Turmzimmer gegangen, um zu sehen, wo seine Tochter blieb. Doch ihr Gemach war leer. Das Bett war ordentlich gemacht und verriet, dass schon seit vielen Stunden niemand mehr darin geschlafen hatte. Helens Kleider – das weiße Hochzeitsgewand, das einem Totenhemd so ähnlich war – und alle anderen Sachen waren noch da. Nur ihre Reitstiefel waren verschwunden. Und auf dem Fenstersims lag ein Brief. ›An meinen Vater, Lord Henry Waterhouse‹ stand darauf geschrieben, und der Lord brach in aller Hast das Siegel. ›Mein lieber Vater‹, war in Helens Handschrift zu lesen. ›Ich begebe mich auf die Suche nach Robin Bloomfield, von dessen Unschuld ich inzwischen überzeugt bin. Um der Gerechtigkeit willen, um meinet- und um deinetwillen gehe ich fort von Waterhouse, um den wahren Mörder von Andrew und Margaret ausfindig zu machen und mit Robins Hilfe dessen Schuld zu beweisen. Bitte verzeihe mir! Es tut mir weh, dich heimlich verlassen zu müssen, doch es ging nicht anders. Ich werde auf ewig deine dich liebende Tochter bleiben.
Gott schütze dich, Vater, und unser Zuhause. In Liebe, Helen.
PS. Pater Gregor wird dir alles erklären.‹
Lord Waterhouse seufzte und ließ das Pergamentblatt sinken. Eine kleine Träne stahl sich aus seinem Augenwinkel und rollte über die faltige Wange.
»Ich liebe dich auch, Helen, meine Tochter. Und ich bin stolz auf dich«, murmelte er gerührt vor sich hin und drückte den Brief an seine Brust. Dann nahm er ihn, rollte ihn ordentlich zusammen und verbarg ihn in seinem Wams. Für eine Weile blieb er noch im Gemach seiner Tochter stehen und überlegte. Er musste Helens Verschwinden, so lange es möglich war, geheim halten. Lord Waterhouse befürchtete, dass sich Sir Matthew sogleich auf die Suche nach seiner Braut machen würde.
Der alte Waterhouse war inzwischen ins Grübeln gekommen. Margarets Tod hatte ihn gelehrt, dass die Dinge nicht immer so waren, wie sie auf den ersten Blick erschienen. Er wusste sehr wohl von den Gerüchten, die Matthew über Margaret verbreitet hatte. Im ersten Moment hatte er sich dieses Verhalten mit der Eifersucht Matthews auf die Kinderfrau, der Helen sehr verbunden war, erklärt. Doch dann waren ihm Zweifel gekommen. Eine Eifersucht, die der Rivalin den Tod brachte, sprengte jeglichen Rahmen. Es musste mehr dahinterstecken. Nur was? Lord Waterhouse wusste es nicht, aber er vertraute Helen. Sie würde den richtigen Weg gehen. Auf sie konnte er sich blind verlassen. Und wenn sie der Meinung gewesen war, die Burg um der Wahrheit willen heimlich verlassen zu müssen, nun gut. Dann würde er eben dafür sorgen, dass ihr Verschwinden so lange wie möglich unentdeckt blieb. Vielleicht konnte er ihr wenigstens damit helfen. Ich muss noch heute mit Pater Gregor sprechen, dachte er. Am besten breche ich gleich zum Kloster auf. Helen schrieb, er könne mir alles erklären. Bestimmt weiß er sogar, wo sie jetzt ist. Der alte Lord verließ das Gemach seiner Tochter und begab sich in die Halle.
Matthew Warthorpe saß verschlafen am Tisch und sah Waterhouse fragend an.
»Wie geht es Helen heute?«, wollte er wissen.
»Ich habe an ihrer Kammertür geklopft, doch sie hat mir nicht geantwortet. Sie wird wohl noch schlafen. Doch keine Sorge, Großneffe, ich bin sicher, dass es ihr heute schon viel besser geht. Ihr werdet nicht mehr lange auf ihr Erscheinen warten müssen.«
»Ihr meint, die Trauung kann heute endlich vollzogen werden?«, fragte Warthorpe hastig.
»Diese Entscheidung liegt allein bei Helen. Doch ich werde mich sogleich selbst in das Kloster begeben, um mit Pater Gregor zu sprechen«, erwiderte der alte Lord.
»Ihr selbst? Warum schickt Ihr keinen Boten nach ihm?«, fragte Matthew misstrauisch.
»Meine alten Knochen können
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