Herz in Gefahr (German Edition)
Kraft seines Herzens sucht. Ich habe noch einen weiten Weg vor mir, den ich bis zum bitteren Ende gehen muss.«
Mit diesen Worten sprach sie sich selbst Mut zu. Aber eine tiefe Traurigkeit lag über ihren Zügen. Die Kränkungen, die Robin ausgesprochen hatte, fraßen an ihrer verletzlichen Seele. Doch Helen war ehrlich genug, zu erkennen, dass er auch da wahr gesprochen hatte. Die Leidenschaft, das brennende Begehren, welches sie verspürt hatte, seit sie zum ersten Mal in Robins Armen lag, war diesmal so übermächtig gewesen, dass sie sich ihm einfach hingeben musste, ungeachtet jeglicher Moralvorstellungen. Doch in einem Punkt hatte er sich getäuscht, so sehr, wie sich ein in seiner Eitelkeit getroffener Mann nur täuschen kann. Es war nicht nur wilde, ungezügelte Begierde gewesen, die sie dazu gebracht hatte, Robin und sich selbst Freuden zu gewähren, die eigentlich nur zwischen Eheleuten gestattet waren. Nein, es war Liebe. Eine reine und tiefe Liebe, die sie für ihn empfand, über der jedoch wie ein Fluch der Schatten ihres toten Bruders lag. Und obwohl sie sich tief von Robin gekränkt fühlte, verstand sie seine Enttäuschung und seinen Zorn. Inzwischen war es vollkommen dunkel geworden. Vor einigen Haustüren waren die ersten Pechfackeln angesteckt worden, und die Wächter drehten ihre ersten Runden. Helen hatte seit dem Vormittag nichts mehr gegessen. Sie war hungrig und müde. Entschlossen machte sie sich auf den Weg zum Kloster, um dort um ein Nachtquartier zu bitten und in Ruhe zu überlegen, was weiter geschehen sollte.
Als sie eine Stunde später, nach einer Mahlzeit, die aus Grütze, Brot und Dünnbier bestand, im Schlafsaal des Klosters auf einer harten Holzpritsche lag, kreisten ihre Gedanken noch immer um Robin. Helen hatte gehofft, ihn im Kloster wieder zu finden, denn er hatte ihr erzählt, dass die Augustinermönche ihm dort Kirchenasyl gewährt hatten. Doch weder im Speisesaal, noch in der Kapelle während der Messe noch hier im großen Gästeschlafraum hatte sie ihn gefunden. Sie verschränkte die Hände unter dem Kopf und dachte nach.
Es gab nur eine Möglichkeit, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Sie selbst musste den Mörder ihres Bruders entlarven. Nur so konnte sie Robins Liebe zurückgewinnen und vielleicht doch noch eines Tages mit ihm glücklich werden. Ein Satz fiel ihr ein, den Margaret oft zitiert hatte: »Wenn du die Wahrheit nicht mit deinem Herzen erkennen kannst, wo sonst glaubst du sie wohl zu entdecken?«
Und in dieser Nacht, die Helen zwischen anderen Schlafgästen des Klosters verbrachte, und in der sie sich doch mutterseelenallein fühlte, prüfte sie ihr Herz. Sie horchte in sich hinein, ließ ihre Seele sprechen und erkannte, dass sie Robin Bloomfield tatsächlich noch immer von ganzem Herzen liebte. Helen wusste auch,dass sie beide um ihre Liebe würden kämpfen müssen. Sie war bereit dafür. Gemeinsam mit Robin wollte sie die Wahrheit herausfinden. Zusammen würden sie stark sein und allem, was geschah, die Stirn bieten. Mein Hass auf Robin ist endgültig verflogen, erkannte Helen verwundert. Die Alten haben wohl Recht, wenn sie sagen: Hass endet nie durch Hass, durch Liebe allein wird er geheilt. Das ist das alte und ewige Gesetz. Und seine Liebe, die ich unter der uralten Tanne so deutlich gespürt habe, hat meinen Hass endgültig besiegt. Ich bete zu Gott, dass ich Robin finde, denn ich könnte es nicht ertragen, ihn zum zweiten Mal zu verlieren. Er ist gegangen, hat mich in der fremden Stadt und bei Dunkelheit allein zurückgelassen, doch auch er liebt mich. Nur wer liebt, kann derart gekränkt reagieren. Morgen, morgen werde ich erneut nach ihm suchen, beschloss sie. Ich werde seinen Bruder Jeremy nach Robin fragen. Sicher weiß er, wo er sich aufhält. Und mit diesem tröstlichen Gedanken schlief Helen schließlich ein.
Schon beim ersten Morgengrauen wurde sie durch die Geräusche im großen Schlafsaal geweckt. Die Kaufleute und Reisenden waren bereits aufgestanden und schnürten ihre Bündel für die Weiterreise. Als die Glocken zur Laudes, dem Morgenlob bei Tagesanbruch, riefen, eilte auch Helen in die Kapelle des Klosters, um der Messe beizuwohnen und um Jeremy zu treffen. Sie entdeckte ihn in der Schar der Mönche und bedeutete ihm durch Handzeichen, dass sie ihn nach dem Gottesdienst zu sprechen wünschte.
»Gott zum Gruß, Helen«, begrüßte Jeremy die junge Frau. »Ihr seid seit damals, als wir auf der Burg Eures Vaters miteinander spielten,
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