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Herz in Not

Titel: Herz in Not Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Brendan
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gekommen waren? Sie blinzelte in die untergehende Sonne und überlegte, ob es richtig gewesen war, ohne Begleitung zu fahren. Aber sie fand, je weniger Leute über ihre neue Situation Bescheid wussten, desto besser. Zudem war Beryl so launisch, seit Samuel und Sally sich verlobt hatten. Außerdem ... hatte David ihr nicht ein Haus ganz nach ihren Wünschen versprochen? Dienstboten ... Wirtschafterin ... Zofe ... französischer Koch ... Schneiderin ... alles, was sie wollte?
    Sie suchte in ihrem Retikül nach Emmas Brief. Dutzende Male hatte sie ihn schon gelesen. Emmas scharfsinnige Bemerkungen über die Londoner Gesellschaft entlockten Victoria auch dieses Mal ein Schmunzeln. Nachdem sie eine Weile über den ton nachgedacht hatte, faltete sie den Brief und steckte ihn zurück in ihren Handbeutel. Dann lehnte sie sich zurück und versuchte zu schlafen.
    Doch immer wieder musste sie an ihre zukünftige Situation denken. Keine anständige Frau, kein anständiger Mann würde in Zukunft etwas mit ihr zu tun haben wollen. Emma und ihre Eltern, Laura Grayson, alle ihre Freunde, niemand würde sie mehr kennen wollen. Sie würde eine Frau von zweifelhaftem Ruf sein ... ein Leben im Zwielicht führen. Man würde sie meiden, wenn man ihr begegnete. Nur widerstrebend erinnerte sie sich an die blonde Frau mit den harten Gesichtszügen, die sie damals in dem schäbigen Viertel im Osten Londons so böse angestarrt hatte. Werde ich auch einmal so verbittert aussehen? fragte Victoria sich verzweifelt.
    Es wurde langsam dunkel. Die Kutsche näherte sich London, unverkennbar deuteten die Gerüche und die Geräusche auf die Großstadt hin. Victoria hatte keine Ahnung, in welchem Teil Londons ihr Ziel lag. In dem Brief hatte lediglich gestanden, dass eine Kutsche sie abholen würde. Krampfhaft versuchte sie, die Tränen zurückzuhalten. Sie hoffte, dass man sie nicht zum Beauchamp Place bringen und Freunde oder Bekannte Zeuge ihres Einzugs sein würden. Inständig betete sie um wenigstens eine Woche Aufschub, bevor sich ihre Schmach wie ein Lauffeuer in der feinen Gesellschaft Londons verbreiten würde.
    Der Wagen kam zum Stehen. Sie hielt den Atem an und wartete. Dann zogen die Pferde wieder an, und die Kutsche rollte weiter. Erleichtert sank Victoria zurück in die Polster. Doch bald darauf verriet ihr das knirschende Geräusch von Kies, dass sie ihr Ziel erreicht hatte.
    Der Wagenschlag wurde geöffnet, und ein freundlich dreinschauender Lakai half ihr beim Aussteigen. Die Kutsche zog sofort wieder an. Erschrocken blickte Victoria ihr nach, dann sah sie ängstlich an der Stuckfassade des weißen Gebäudes hoch. „Wo ... in welchem Teil Londons bin ich hier?“ fragte sie den Diener.
    „In Hammersmith, Madam“, erklärte er höflich, nahm ihre Reisetasche und ging voran.
    Es war absolut still im Haus. Ängstlich um sich schauend, verharrte Victoria direkt hinter der Eingangstür. Der polierte Holzboden und die hohe Stuckdecke schimmerten im warmen Licht mehrerer Kerzen.
    „Mrs. Hart?“
    Victoria fuhr erschrocken zusammen und nickte stumm.
    „Bitte folgen Sie mir, Mrs. Hart.“ Die Frau, im dunklen Kleid einer Wirtschafterin, deutete auf die Treppe und ging wortlos schnellen Schrittes voran.
    Victoria folgte ihr, die eine Hand am Geländer, die andere den Seidenrock haltend, um auf der dunklen Treppe nicht zu stolpern. Oben angekommen, führte der Weg weiter durch eine mit schweren Teppichen ausgelegte endlos lange Halle. Mit jedem Schritt wurden Victorias Knie weicher, ihr Herz schwerer. Dann blieb die Frau stehen, öffnete eine Hälfte einer Doppeltür und trat zur Seite, um Victoria den Vortritt zu lassen.
    Victoria bewegte sich nicht von der Stelle. Die letzte Gelegenheit, davonzulaufen, ging es ihr durch den Kopf. Schloss sich die Tür hinter ihr, dann ... War es ein Schlafzimmer? Was mochte diese Frau von ihr denken? Wie viel zahlte er ihr wohl für ihr Schweigen?
    Die Haushälterin wartete geduldig, bis Victoria schließlich eintrat. Sofort wurde die Tür leise hinter ihr geschlossen.

10. KAPITEL
    Victoria sah ihn sofort. Er saß nahe beim Feuer. Langsam drehte er den Kopf, sah kurz und unbeteiligt zu ihr herüber und griff nach dem Glas neben sich auf dem Tisch. Victoria stand stocksteif. Wie gebannt beobachtete sie, wie er das leere Glas auf den Tisch zurückstellte, starrte
    auf seine Hand, die betont langsam und gründlich die Zigarre im Aschenbecher ausdrückte. Dann winkte dieselbe Hand sie herbei. Zögernd machte

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