Herz ist Trumpf
vor den Augen flimmerte und sie sich am Geländer festhalten musste. Sie hatte das helle Licht und den Lärm, der in den Spielsalons herrschte, nicht mehr ertragen können und hoffte nun, dass die Tropfen, die sie sich nach einem besonders schweren Migräneanfall vor ein paar Monaten in der Apotheke hatte mischen lassen, ihr auch dieses Mal wieder helfen würden. Wegen der Vorkommnisse der letzten Abende konnte sie es sich nicht leisten, sich ins Bett zurückzuziehen, egal wie schlecht es ihr gehen mochte.
Auf dem Treppenpodest vor ihrer Wohnung hielt sie überrascht inne, als sie den Wachmann, der üblicherweise dort postiert war, nicht vorfand. Dann fiel ihr ein, dass sie Pratt am Abend zuvor angewiesen hatte, den Mann zur Verstärkung im Hazard-Raum einzusetzen. Ohnehin hatte es hier im obersten Stockwerk bislang nie irgendwelche Probleme gegeben.
Amariah schloss die Tür auf und ging zu ihrem Schlafzimmer, ohne sich die Mühe zu machen, eine Kerze anzuzünden. Auf zusätzliche Qualen, die eine Lichtquelle ihr bereiten würde, konnte sie wirklich verzichten. Außerdem kannte sie sich in ihren Räumlichkeiten so gut aus, dass ihr das Mondlicht, das durch die Vorhänge schimmerte, genügte. Sie fand die Tropfen in der Schublade ihres Toilettentischs, träufelte die empfohlene Menge in das Glas Wasser, das noch auf ihrem Nachttisch stand, und trank die Mischung in einem Zug aus. Sie schmeckte scheußlich, und Amariah schüttelte sich mit zusammengekniffenen Augen. Sie schluckte angestrengt, damit das bittere Gebräu nicht wieder hochkam, dann holte sie tief Luft. Gleich würde es ihr wieder gut gehen. Sie spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht und tupfte es mit geübten Bewegungen trocken. Nun konnte sie wieder nach unten gehen.
In dem kleinen Korridor zwischen ihrem Schlafgemach und dem Salon blieb sie plötzlich stehen. Sie hatte die Wohnungstür nicht hinter sich geschlossen, als sie hereingekommen war, das wusste sie genau. Sie hielt den Atem an. Etwas stimmte hier nicht. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.
Sie spürte es genau – jemand verbarg sich in der Dunkelheit. Das Geräusch gerade – konnte es das Schlurfen einer Schuhsohle auf dem Dielenboden gewesen sein? Amariah rührte sich nicht und spitzte die Ohren. Wie aus weiter Ferne drangen Gerede und Gelächter aus dem Club zu ihr herauf.
„Wer ist da?“, verlangte sie laut zu wissen. „Was wollen Sie?“
Keine Antwort. Aber wer auch immer hier war, wusste nun, dass sie sich im selben Raum befand, und hielt vermutlich ebenfalls den Atem an.
Was, wenn es der Schurke war, der die Nachricht durchs Küchenfenster geworfen hatte? Was, wenn er gekommen war, um seine Drohung gegen sie wahr zu machen?
Amariah streckte vorsichtig ihre eine Hand aus, bis sie die Kante des kleinen Wandtischs ertastete. Sie ließ ihre Finger über die Tischplatte gleiten, bis sie an den schweren Messingkerzenständer stießen, der dort seinen Platz hatte. Sie packte den Kandelaber und schwang ihn herum.
„Wer auch immer Sie sind, gehen Sie“, befahl sie mit nunmehr größerem Selbstvertrauen. „Was Sie hier tun, ist unbefugtes Eindringen. Verschwinden Sie auf der Stelle!“
Sie sah den Schatten einen winzigen Augenblick, ehe der Hieb sie traf und sie umwarf. Sie hörte ihr eigenes überraschtes Keuchen, dann schlug sie hart auf dem Boden auf. Der Kerzenständer landete scheppernd neben ihr. Verzweifelt versuchte sie, auf die Füße zu kommen, doch ihre Röcke hatten sich um ihre Beine gewickelt. Sie rollte sich herum und kam auf die Knie, nur um von einem erneuten Schlag zu Boden gestreckt zu werden. Diesmal war der Hieb so heftig, dass er ihr die Luft aus den Lungen presste. Während sie verzweifelt versuchte, zu Atem zu kommen, fiel ihr Blick auf die Beine ihres Angreifers, die Umrisse dicker Knöchel in Strümpfen und schwerer Schuhe mit einfachen ovalen Schnallen. Irgendwie gelang es ihr in diesem Moment, den Kerzenständer zu packen. Mit letzter Kraft holte sie aus und ließ ihn gegen die Fesseln des Mannes sausen.
Sie hörte ihn fluchen, dann versetzte der Kerl ihr einen harten Tritt. Der stechende Schmerz, der ihren Arm durchzuckte, drohte ihr das Bewusstsein zu rauben. Wimmernd rollte sie weg, drückte ihren Arm an sich und krümmte sich vor Schmerz.
Licht flutete herein, als die Tür plötzlich aufflog. Amariah schloss die Augen und drehte den Kopf weg. Im nächsten Moment spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter.
„Schau mich an, Liebling“,
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