Herz ist Trumpf
frische Tasse Tee ein. Sie war Guilfords älteste Schwester und genoss höchstes Ansehen, was sie berechtigte, ihrem Missfallen, wie immer und wann immer sie es für nötig erachtete, Ausdruck zu verleihen, so auch jetzt.
„Ehrlich, Guilford, was soll ich bloß mit dir machen?“, sagte sie und schüttelte den Kopf. „Wochenlang schickst du mir nichts als fadenscheinige Entschuldigungen und Ausreden, und wenn du dich dann endlich dazu herablässt, mir einen Besuch abzustatten – und nicht deinem Club oder deinen Mätressen –, bekomme ich kaum ein interessantes Wort aus dir heraus.“
„Ich habe keine ‚Mätressen‘, Fran“, widersprach Guilford gelangweilt und wünschte, er hätte ihr an diesem Abend auch wieder eine Entschuldigung geschickt. Nicht dass er Frances und ihre Familie nicht schätzte, aber sein Besuch bei ihr hatte eher damit zu tun, dass er Penny House mied, als mit seiner Schwester. Zwar wollte er einer Begegnung mit Amariah nicht direkt aus dem Weg gehen, doch nach den Ereignissen an diesem Morgen in der Geschäftsstelle des Tattle hatte er nicht die geringste Ahnung, was er zu ihr sagen sollte, wenn er sie sah.
„Also, wie heißt diese nun, Guilford?“
Er erschrak und blinzelte. „Diese, Fran?“
„Dein neues Liebchen.“ Frances lächelte und betrachtete ihn scharfsinnig. „Ich kenne dich, Guilford, und ich weiß, dass du es nicht aushältst ohne mindestens eine Frau in deinem Leben, du brauchst es gar nicht erst abzustreiten.“
„Sie ist kein Liebchen“, protestierte Guilford. „Du kannst sie nicht mit all den anderen in einen Topf werfen.“
Frances lehnte sich zurück und verschränkte die Hände in ihrem Schoß. „Wie schön!“ Ihre Freude war unübersehbar. „Dann hast du endlich eine standesgemäße Dame gefunden, die deiner würdig ist! Es ist aber auch höchste Zeit, dass du eine Ehe eingehst! Und ich hatte mir bereits Sorgen gemacht wegen dieser grässlichen Gerüchte über dich und dieses Geschöpf aus der Spielhölle!“
Guilford machte ein finsteres Gesicht. „Sie ist kein ‚Geschöpf‘, Fran, sondern Miss Amariah Penny, und obwohl sie deine Anforderungen an eine Dame nicht erfüllen würde, besitzt sie einen inneren Adel, den man bei den meisten Adligen meiner Bekanntschaft vergebens sucht.“
Die Freude seiner Schwester zerplatzte wie ein Ballon. „Oh, Guilford. Nicht schon wieder!“
„Miss Penny ist nicht wie die anderen, Fran“, sagte er versuchsweise, obwohl er wusste, dass seine Schwester es nicht verstehen würde. „Sie ist eine Pfarrerstochter.“
„Und sie betreibt einen Spielclub?“ Frances verzog abfällig den Mund.
„Sie und ihre Schwestern haben ihn geerbt“, verteidigte Guilford sie. „Der gesamte Gewinn fließt in wohltätige Zwecke, verstehst du. Sie ist gut und freundlich, und zudem temperamentvoll und klug. Ich finde sie überaus unterhaltsam.“
„Vermutlich ist sie auch noch schön?“
„Außerordentlich.“ Guilford lächelte und begann Amariahs Vorzüge aufzuzählen. „Sie hat prächtiges rotgoldenes Haar und strahlend blaue Augen und …“
„Keinen Titel, kein Vermögen und keine Zukunft.“ Wieder seufzte Frances. „Mein einziger Trost ist, dass sie genau den Weg gehen wird, den all die anderen vor ihr gegangen sind.“
„Sollte das geschehen“, sagte Guilford bei der Erinnerung an Amariahs verletzten Gesichtsausdruck, als sie an diesem Morgen geflohen war, „dann nur, weil sie es so will, nicht ich.“
„Sie!“, spottete Frances. „Welche Frau würde dich auf den Abfallhaufen werfen?“
„Miss Penny“, entgegnete er. „Wenn sie der Meinung wäre, ich hätte es verdient.“
Er hielt inne, als ihm klar wurde, was er gerade geäußert hatte. Seit wann dachte er darüber nach, was er von einer Frau verdiente oder nicht? Wenn Amariah ihm wirklich so viel bedeutete, wie er es Frances gegenüber behauptete, dann war er es sich schuldig, die Sache zwischen ihnen wieder ins Lot zu bringen. Und wenn er sie irgendwie verletzt hatte – was er nicht wirklich glaubte –, musste er das eben richtigstellen. Solange er sich indes bei Frances versteckte, erreichte er gar nichts. Guilford erhob sich und küsste seine Schwester zum Abschied auf die Wange. In Anbetracht der Öffnungszeiten von Penny House war es immer noch früh am Abend, und er konnte im Handumdrehen dort sein.
Mit schleppenden Schritten stieg Amariah die Treppe zu ihren Räumen im obersten Stockwerk hinauf. Der Kopf tat ihr so weh, dass es ihr
Weitere Kostenlose Bücher