Herz ist Trumpf
„Stämmige männliche Waden in Strümpfen und schwere Schuhe mit einfachen, ovalen Schnallen. Ich habe es genauso aufgeschrieben, wie Sie es formuliert haben, Miss Penny“, erklärte er wichtigtuerisch. „In allen Einzelheiten, Miss Penny, in allen Einzelheiten.“
Amariah deutete anmutig auf Guilfords Füße. „Dann werden Sie sich gewiss auch ein Bild von den Einzelheiten an den Schuhen Seiner Gnaden machen wollen. In der Tat trägt er Kniehosen und Strümpfe. Aber wie Sie ohne Zweifel feststellen können, sind die Schnallen seiner Schuhe alles andere schlicht, sondern aus fein ziseliertem Silber, Mr. Green. Außerdem sind sie viereckig, und somit würde ich meinen, dass Seine Gnaden nicht länger als Verdächtiger in Betracht kommt.“
Mit säuerlicher Miene starrte Green auf Guilfords Schuhe und schien ausnahmsweise einmal nicht zu wissen, was er sagen sollte.
Amariah raffte ihre Tagesdecke um die Schultern und erhob sich. „Wenn Sie mich entschuldigen wollen, Euer Gnaden, meine Herren, ich muss mich ankleiden. Mr. Green, sobald ich meinen Schreibtisch aufgeräumt habe, werde ich Sie benachrichtigen, ob etwas von Wert entwendet wurde. Und ich muss Sie bitten, alles, was Sie gesehen oder gehört haben, streng vertraulich zu behandeln. Zu den Mitgliedern von Penny House zählen die mächtigsten und hochrangigsten Gentlemen Londons, und sie wären wenig erfreut, wenn ihre Angelegenheiten von Ihnen erörtert würden.“
„Selbstverständlich, Miss Penny, Sie haben mein Wort darauf.“ Green blieb beharrlich. „Aber wenn Sie gestatten, würde ich Ihnen gern bei der Durchsicht dieser Papiere helfen, um sicherzugehen, dass nichts übersehen wird.“
„Eine wichtige Einzelheit, Mr. Green?“ Amariah lächelte engelhaft. „Nein, danke. Ich glaube, das schaffe ich alleine.“
Dem Konstabler blieb keine andere Wahl, als sich zu verabschieden. Als er gegangen war, wandte Amariah sich an Pratt, dem die Besorgnis ins Gesicht geschrieben stand.
„Wenn ich das sagen darf, Miss, ich bin sehr erleichtert, dass Sie keine ernsthaften Verletzungen davongetragen haben, und es tut mir leid, dass etwas Derartiges in Penny House geschehen konnte.“
„Es ist nicht Ihre Schuld, Pratt.“ Amariah klopfte ihm lächelnd auf die Schulter. „Und ich weiß Ihre Sorge um mich zu schätzen.“
Der Verwalter verneigte sich. „Sie sind unentbehrlich für Penny House, Miss. Der Club könnte ohne Sie nicht existieren.“
„Danke, Pratt.“ Amariah wusste, was er meinte. Sie war diejenige, die das Andenken ihres Vaters bewahrte und die Gewinne, die Penny House machte, wohltätigen Zwecken zukommen ließ. „Nur bitte keine Ärzte und keine Konstabler mehr.“
„Sehr wohl, Miss Penny.“ Pratt runzelte bekümmert die Stirn. „Aber wir können doch nicht zulassen, dass solche Verbrecher in Penny House …“
„Wir werden die Sache selbst in die Hand nehmen, Pratt“, unterbrach sie ihn bestimmt. „Ich werde mit Mr. Fewler und seinen Wachleuten sprechen, und danach rufen wir die restliche Dienerschaft zusammen. Das wäre dann alles, Pratt.“ Mit einem schweren Seufzer ließ der Verwalter sie allein.
Allein mit Guilford.
„Bin ich jetzt an der Reihe, entlassen zu werden, Amariah?“, fragte er leichthin. „Schickst du mich auch einfach fort?“
„Bei dir ist es nicht das Gleiche, Guilford.“
Hatte er überhaupt eine Ahnung, wie sehr das stimmte? Sie bemerkte, dass sie ihn ganz selbstverständlich geduzt hatte, aber plötzlich fühlte sie sich in seiner Gegenwart seltsam unbehaglich. Die Nähe zu ihm, die sie noch vor Kurzem empfunden hatte, war kalter Vernunft gewichen. Vielleicht lag es daran, dass sie an ihre Unabhängigkeit gewöhnt war, die sich so gar nicht damit vereinbaren ließ, wie sehr sie ihn letzte Nacht gebraucht hatte. Vielleicht wurde ihr aber auch nur bewusst, dass sie nach der vergangenen Nacht nicht so weitermachen konnten wie vorher.
Sie mied Guilfords Blick und begann stattdessen, ungeschickt an dem Verband herumzufingern, der um die Armschiene gewickelt war. „Hilf mir doch bitte, dieses verflixte Ding abzunehmen.“
Guilford runzelte die Stirn. „Solltest du das nicht lieber so lassen?“
„Auf keinen Fall“, erwiderte sie. „Du weißt doch, es ist reine Quacksalberei und mir nur lästig.“
„In Bezug auf dich weiß ich gar nichts.“ Er nahm ihren Arm, wickelte den Verband ab und nahm die Schiene fort. „Außer dass du mich jetzt mit ‚du‘ ansprichst und dass dir die Schnallen
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