Herzbesetzer (German Edition)
dreht behutsam den Kopf zur Seite und sagt leise: »Du verträgst wohl mein Dope nicht, was?«
Ich lande mit einem schmerzhaften Plumpsen in der Wirklichkeit, was, wenn ich mich recht erinnere, mein Ziel war. Oder hab ich das nur vorgeschoben? Ich lege die Hand um Anokis Hinterkopf, ziehe ihn wieder zu mir heran und suche erneut seine Lippen, aber diesmal dreht er sich etwas energischer weg. Mist. Ich hab’s vermasselt. Seufzend stütze ich die Ellbogen auf die Oberschenkel und lege den Kopf in die Hände.
»Jetzt nimm das doch nicht so persönlich«, sagt Anoki unbehaglich, »du bist mir im Moment bloß ’n bisschen zu breit.«
Ich muss lachen. Ich lache und kann mich kaum mehr beruhigen. Das ist wirklich ein unheimlich guter, unheimlich trauriger Witz.
Anoki lacht nicht mit. Er sitzt bloß da, sieht mich ernst an und raucht. Irgendwann kriege ich mich wieder ein, mein Gelächter endet in einer Art schmerzerfülltem Jaulen.
»Entschuldige«, sage ich, ohne ihm in die Augen zu sehen.
»Kein Problem«, sagt Anoki höflich. Es ensteht eine weitere lange Schweigepause, in der ich ihm den Joint aus den Fingern zupfe, um mich zu betäuben, leider erfolglos. Die Stimmung ist im Eimer, und es ist mir schrecklich peinlich. Was denkt Anoki jetzt von mir? Also, es ist nicht so, als wäre er bisher völlig ahnungslos gewesen – so naiv ist er nicht. Er hat schon mitgekriegt, wie ich ihn anglotze und was er bei mir auslöst. Aber er hat es einfach heiter ignoriert, und ich hab mich tapfer zurückgehalten. Wieso konnte das nicht so bleiben? Das ist alles meine Schuld. Vielleicht hat er jetzt Angst gekriegt und zieht sich von mir zurück. Was mach ich dann? Ich kann gar nicht mehr leben ohne Anoki. Eine Erkenntnis, die mich hart trifft und blanke Panik in mir aufsteigen lässt. Erstens weil ich stolz darauf war, emotional unabhängig zu sein, und zweitens weil ich so furchtbare Angst habe, Anoki zu verlieren.
Er nimmt die Tüte wieder an sich. »Du hast jetzt genug«, erklärt mein Altenbetreuer energisch. »Das ist heute nicht dein Tag.« Kann er meine Gedanken lesen? »Geh schon mal ins Bett, ich räum hier auf«, fügt er hinzu, nimmt noch zwei, drei Züge, bis der Stummel ihm fast die Finger verbrennt, drückt ihn dann im Aschenbecher aus und steht auf. Da ich mich nicht rühre und ihn nur ungläubig ansehe, wird er noch bestimmter: »Na hopp! Mach hinne!« Mir läuft ein heimlicher Wonneschauer über den Rücken – ich steh drauf, wenn er mich rumkommandiert.
Ich liege bereits auf meiner Bettseite, als Anoki das Licht löscht und ebenfalls in die Federn kriecht. Wieder liegt Anspannung in der Luft. Ich hab Angst, dass er sich unwohl fühlt, weil er fürchtet, ich könnte ihm noch mal zu nahe kommen. Deshalb bleibe ich bewegungslos liegen, bin dabei aber so verkrampft, dass mir alles wehtut, und ich kann spüren, dass er genauso starr ist. Wir liegen beide wach, haben einander den Rücken zugedreht und wahren einen lächerlich großen Abstand.
Es ist Anoki, der als Erster kapituliert. »Nee, Scheiße«, murmelt er, und ich höre, wie er sich herumwälzt. Er rutscht näher, bis er mich wie gewohnt berührt. »Das ist doof, so kann ich nicht schlafen«, beschwert er sich.
»Ich auch nicht«, sage ich und taste mit einer Hand nach hinten, um kurz und keusch über seinen Arm zu streichen. Wir seufzen beide erleichtert.
Schließlich sagt Anoki: »Tja, ich weiß auch nicht. Was ich will, mein ich. Weiß echt nicht so genau.« Das mag keine besonders präzise Aussage sein, aber mein Kopf dröhnt wie eine Kirchenglocke, weil ich ganz genau verstehe, was er damit sagen will, und weil mich das heftig aufwühlt. Nachdem ich mich mühsam wieder in den Griff bekommen habe, sage ich: »Musst du auch nicht. Irgendwann weißt du’s einfach. Sag mir dann nur Bescheid, okay?«
Anoki kichert zwischen meine Schulterblätter und antwortet: »Alter, du bist der Erste, der’s erfährt.«
91
Nach dieser Eröffnung könnte ich baggern, was das Zeug hält. Im Grunde hat Anoki mir grünes Licht gegeben. Er muss nur noch ein bisschen überzeugt werden, und das traue ich mir zu. Ich könnte ihn umgarnen und einwickeln wie eine Spinne. Aber das tue ich nicht, und darauf bin ich stolz, denn es kostet mich viel Selbstbeherrschung. (Na ja, daran bin ich ja mittlerweile gewöhnt.) Mir liegt nichts an einem billigen Triumph. Obwohl ich Anoki mehr will als irgendetwas sonst auf der Welt, habe ich mir geschworen, dass ich erst
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