Herzblut 02 - Stärker als der Tod
darüber musste ich noch mehr lachen.
Anne verschwand mit finsterem Blick in einer der beiden Kabinen. „Ich sollte das verdammte Ding ins Klo werfen.“
„Ich bin immer noch dran und warte auf eine Erklärung.“ Dad klang ziemlich gereizt.
Ich kicherte und hielt mir eine Hand vor den Mund. So was hatte er garantiert noch nicht erlebt.
„Äh, ach, tut mir leid, Mr Colbert“, sagte Anne. „Ich muss Sie nur kurz unter meinem Kleid vorholen …“
„Ich kann dir versichern, dass ich mich momentan weder in der Nähe von dir noch von deinem Kleid befinde“, widersprach Dad verärgert. „Seid ihr Mädchen etwa high?“
Carrie, Michelle und ich grölten wieder los.
Knallrot kam Anne endlich aus der Kabine und gab mir das Handy.
„Iiih! Das wischst du ja wohl ab, oder?“ Carrie zog angewidert die Nase kraus.
„Es war nicht … Ich habe geduscht, bevor … Von mir aus.“ Anne gab auf, wischte mit einem Papierhandtuch über das Handy und drückte dabei das Gespräch weg.
Oh, jetzt war er sicher richtig sauer. „Ich rufe ihn lieber gleich an“, sagte ich, während ich Anne lächelnd das Handy abnahm. Ich rief die Nummer auf, wählte, hielt das Handy ans Ohr und tat so, als würde ich daran schnuppern. „He, Anne, trägst du heute ein neues Parfum?“
Das brachte Carrie und Michelle wieder zum Kichern.
Dad meldete sich beim ersten Klingeln. „Was ist denn …“
„Tut mir leid, Dad“, unterbrach ich, bevor er mit der Gardinenpredigt anfangen konnte. „Ich wollte dich anrufen und fragen, ob ich mich hier auf dem Ball fotografieren lassen darf. Aber Anne hat mir das Handy weggenommen und in der einzigen, äh, Tasche versteckt, die ihr Kleid hat. Und dann hatte sie ein kleines … modisches Missgeschick und kam nicht so einfach an das Handy.“ Ichmusste kichern. „Tut mir leid, wenn du dir Sorgen gemacht hast.“
Nach einer langen Pause räusperte er sich. „Na ja, wenigstens amüsierst du dich anscheinend zur Abwechslung mal. Ruf mich an, bevor du gehst.“
Seine Antwort überraschte mich. Er hatte recht. Ich amüsierte mich wirklich. Sogar königlich.
Jetzt musste ich es nur noch hinbekommen, dass ich den ganzen Abend nicht Tristan mit Bethany beim Tanzen sah …
7. KAPITEL
Tristan
E s war behämmert von mir, zur Drip Rock Road zu fahren. Ich war schon eine Viertelstunde zu spät dran, um Bethany abzuholen, und mein Lieblingsplatz lag auf einem Hügel in der entgegengesetzten Richtung.
Trotzdem fuhr ich dorthin. Ich brauchte … frische Luft. Ruhe. Ein paar Minuten Freiheit.
Meine Eltern sperrten mich jede Sekunde ein, wenn ich nicht in der Schule war. Heute hatten sie mich aus dem Haus gelassen, weil ich Bethany zu dem Ball eingeladen hatte, nachdem meine Mutter mich mehrfach und ziemlich unsubtil dazu gedrängt hatte. Auch wenn mich die Ersatzfreundin, die meine Mutter ausgesucht hatte, eigentlich nicht interessierte. Aber ich musste Savannah einfach noch einmal außerhalb der Schule sehen, bevor das Schuljahr zu Ende ging.
Deshalb hatte ich, wie gewünscht, letzte Woche Bethany angerufen, heute den Smoking angezogen, den Mom ausgeliehen hatte, und mich mit einem Anstecksträußchen, das sie auch ausgesucht hatte, auf den Weg zu Bethany gemacht. Aber unten an der Ausfahrt hatte ich nicht die Straße zu der Country-Club-Siedlung überquert, in der Bethany wohnte, sondern war in die entgegengesetzte Richtung abgebogen und hierhergefahren.
Obwohl die Sonne schon unterging, war es noch warm; nicht mal eine kühle Brise wehte. Am dämmrigen Himmel über den Kiefern im Tal waberte die Hitze. Und das war erst der Anfang. Wenn es in den nächsten Wochen richtig Sommer wurde, war es nach elf Uhr morgens draußen eine Qual. Ich fühlte mich schon jetzt wie in einem Sumpf. Die pure Luft schnürte mir die Kehle zu.
Auf dem Armaturenbrett wartete das Anstecksträußchen wie ein stummer Befehl meiner Mutter. Sie wäre ausgerastet, wenn sie gewusst hätte, dass ich die Blumen verwelken ließ, statt wie der brave kleine Junge, den Mom sich wünschte, direkt zu Bethany zu fahren.
Ich betrachtete die Hügel um mich herum und den Himmel. Im Osten funkelten die ersten Sterne. Und ich überlegte zum tausendstenMal, wo Savannah jetzt wohl war. War sie mit ihren Freundinnen bei Anne, um sich zurechtzumachen, lächelte sich im Spiegel zu und kämmte und schminke sich mit ihren langen Fingern?
Dachte sie überhaupt an mich?
Ich wusste schon, dass sie bei dem Ball noch schöner aussehen würde als je
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