Herzblut 02 - Stärker als der Tod
du die?“ Sie spielte sich auf, als hätte ich die Tasche direkt aus ihrem Kleiderschrank gestohlen.
„Aus der Galleria“, antwortete ich lächelnd. Fast hätte ich gelacht. Vielleicht hatte meine neue Garderobe ja doch ihre Vorteile.
Vanessa beäugte mein Kleid, meine Kette, meine Schuhe. Ich schnappte ihre flüchtigen Gedanken auf, als sie überlegte, ob sie mir das Handgelenk herumdrehen sollte, damit sie sich mein Armband besser ansehen konnte. Schließlich ließ sie es bleiben, weil sie mich nicht berühren wollte.
„Ist das ein …“ Hope sog scharf die Luft ein und streckte tatsächlich eine Hand nach dem Armband aus.
Vanessa schlug ihre Hand weg. „Halt die Klappe, Hope. Los jetzt, sonst kommen wir zu spät zum Unterricht.“ Sie riss mir die Tasche vom Unterarm und wollte sie auf den Boden werfen.
Ich schnappte mir die Tasche, ehe sie auch nur eine Handbreit gefallen war. Mir war die Bewegung nicht anders vorgekommen als alles, was ich sonst tat, aber die Zwillinge kreischten auf und liefen davon. Dabei sahen sie sich immer wieder nach mir um.
Mist. Hatte ich eine von diesen superschnellen Vampirbewegungen gemacht?
Wenn ich in diesem Jahr nicht auffallen wollte, musste ich eindeutig mehr Tai-Chi üben.
Langsam schob ich mir die Tasche bis auf die Schulter. Dann hängte ich sie mir in die Ellenbeuge. So ein Dreck. Wie trug man denn so eine Designertasche? Dazu hatte Dad mir nichts aufgeschrieben, und ich hatte noch nie eine Handtasche getragen. Und schon gar keine, die chic genug war, um die Zickenzwillinge zu ärgern.
Ich gab auf und machte mich auf den Weg zu meinem Fach in der zweiten Stunde. Dabei versuchte ich den allzu vertrauten Schmerz in Brust und Bauch zu ignorieren, der mir anzeigte, dass ich Tristannäher kam. Er war so groß, dass er sogar in einer Menschenmenge auffiel. Im Flur war sein goldblonder Schopf nirgends zu sehen, also saß er wahrscheinlich schon irgendwo in diesem Gebäude in seinem Klassenzimmer. Gut. Wenn es sich vermeiden ließ, wollte ich ihm heute Vormittag lieber nicht über den Weg laufen.
Wenn andere mir Platz machten, schnappte ich manchmal Gedankensplitter auf, die aus dem allgemeinen Wust ragten und mir galten.
Ist das eine Tasche von Coach?
Sind das Schuhe von Jimmy Choo? Nein, das kann nicht sein. Die kann sie sich gar nicht leisten, das weiß doch jeder. Sind bestimmt billige Imitate .
Wieso kann die sich das leisten? Ach, ich weiß, ihr Vater. Der ist bestimmt Drogendealer. Oder bei der Mafia oder so was. Nur blöd, dass sie ihr ganzes Geld für Klamotten raushauen statt für diese Bruchbude, in der sie wohnen .
Ein Teil von mir wäre am liebsten den Flur runtergerannt und geflohen, so schnell ich konnte. Dad hatte zur Hälfte recht behalten. Alle sahen nur auf meine Kleidung und nicht auf mich. Aber offenbar hatte das ihre Meinung über mich nicht geändert.
Irgendwie widerstand ich dem Drang, einfach so schnell durch die Menge zu rasen, wie ich es nur als Vampirin konnte. Beherrschen. Ich musste mich beherrschen. Ich zwang mich, so langsam wie ein Mensch zu gehen, dann noch langsamer, bis ich gemächlich schlendernd den Klassenraum betrat, bevor es zum zweiten Mal schellte.
Auf diese Stunde hatte ich mich gefreut. Englisch war mein bestes Schulfach. Aber als ich reinkam und sah, dass alle noch mit ihren Büchern in der Hand dastanden, stieß ich einen tiefen Seufzer aus.
Es konnte nur einen Grund geben, warum meine Mitschüler noch nicht saßen: Die Lehrerin wollte uns die Plätze nach dem Alphabet zuweisen.
Als ich mich umsah, fing ich Tristans Blick auf. Ich erstarrte innerlich.
Im gleichen Moment wurde mir klar, dass ich umsonst gehofft hatte, meine Gefühle für ihn seien im Sommer verblasst. Es trafmich wie ein Hammer, als die Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit auf mich einstürzten, und ich bekam keine Luft mehr. Ich musste mir eingestehen, wie sehr er mir gefehlt hatte.
Ich liebte ihn noch genauso wie früher, wenn nicht noch mehr.
Nur war er jetzt mit Bethany zusammen.
Und ich würde wieder neben ihm sitzen. Bei unseren Nachnamen Coleman und Colbert und einer alphabetischen Sitzordnung ging es gar nicht anders. Zum ersten Mal wünschte ich mir, die Macht des Clanns würde wirklich bis zum Stundenplanprogramm der Jacksonville Highschool reichen, damit wir nie wieder im gleichen Kurs wären.
Ich wollte den Blick von ihm losreißen, ich versuchte es wirklich. Immerhin hatte ich Schluss gemacht, und es war einfach unhöflich, ihn
Weitere Kostenlose Bücher