Herzblut 02 - Stärker als der Tod
werden dir die Bluterinnerungen gefallen“, versprach Gowin eines Abends, als er mich in meinem Zimmer fand. Ich saß schweißgebadet auf dem Boden und hatte die Hände an den Kopf gepresst, während Bilder durch meinen Schädel wirbelten.
„Wie kann das irgendwem gefallen?“, brach es aus mir heraus.
„Sieh es einfach als eine Art Kurzurlaub von deinem Leben. Du kannst mal jemand anders sein.“
„Aber was ich dabei sehe, ergibt keinen Sinn! Ich weiß nicht, wer diese Leute sind oder wer ich in den Erinnerungen sein soll.“
„Dann stell dir vor, du würdest einen von diesen abgedrehten Kunstfilmen sehen, die man gar nicht verstehen soll. Ergibt dein Leben immer einen Sinn? Oder die ganze Welt? Natürlich nicht. Soll sie auch nicht. Das echte Leben ist Chaos, Herzchen, nicht Ordnung. Wir Vampire werden nur durch Menschen und den Rest Menschlichkeit in uns dazu getrieben, dass wir in allem einen Sinn erkennen wollen.“
Aber ich konnte Chaos nicht ausstehen. Für mich war es schrecklich, so gar keine Kontrolle über meinen Verstand zu haben. Und noch weniger konnte ich es leiden, wenn mir etwas meine angeborenen Zauberkräfte nahm.
Der Englischunterricht war nicht viel besser. In den anderen Fächern beherrschte ich die ASW mittlerweile so weit, dass ich die fremden Gedanken nur noch leise hörte. Nur nahm ich Tristan dadurchumso deutlicher wahr. Und manchmal schnappte ich sogar seine Gedanken auf.
Tristans Gedanken zu hören war wunderbar und zugleich eine Qual. Wenn ich ihn in meinem Kopf ganz ungefiltert hören konnte, fühlte ich mich ihm näher als je zuvor.
Gleichzeitig fiel es mir noch schwerer, meine Gefühle für ihn im Zaum zu halten.
Besonders jetzt, während sich alle auf den jährlichen Maskenball der Charmers vorbereiteten, unsere größte Spendenaktion des Jahres. Beim Training musste ich mich ständig konzentrieren, um Bethanys aufgekratztes Geplapper auszublenden. Sie überlegte, welche Kostüme sie und Tristan zum Ball anziehen könnten, die zusammenpassten. Offenbar hatte er gesagt, er würde anziehen, was sie wollte.
Letztes Jahr hatte er darauf bestanden, dass wir uns als Paar verkleiden, er als Ritter und ich als Engel. Wie Leonardo DiCaprio und Claire Danes in der Verfilmung von Romeo und Julia . Und dann war Bethany abends als Guinevere aufgetaucht, und alle hatten geglaubt, Tristan hätte sich als ihr Ritter Lanzelot verkleidet.
Schon damals hatte Bethany es geschafft, wie die perfekte Freundin für Tristan auszusehen.
Dieses Jahr konnte sie ganz offen für sich und ihn passende Kostüme aussuchen. Sie würde den ganzen Abend über an seinem Arm hängen, genau wie beim Ball zum Schulbeginn im September.
Und natürlich konnte sie ihn küssen, so viel sie wollte, ohne ihn vielleicht aus Versehen umzubringen.
Beim Maskenball würden sie schön damit prunken können, was für ein perfektes Paar sie waren. Und ich dürfte wie üblich kochen und Essen und Getränke am Imbissstand servieren, der uns die halbe Kasse füllte.
Während sie den ganzen Abend in Tristans Armen tanzen würde, würde ich hinter einem großen Topf mit Käsesoße und einem Plastikglas voller Gurken versauern.
Ich würde echt drei Kreuze schlagen, wenn Halloween vorbei war. Zu blöd, dass es bis dahin noch Wochen dauerte.
20. KAPITEL
Tristan
I n diesem Jahr verband mich eine echte Hassliebe mit dem Englischunterricht. Manchmal war ich dankbar, dass ich einfach neben Savannah sitzen und sie heimlich ansehen konnte, wenn sie etwas las oder aufschrieb.
Aber sie machte es mir nicht gerade leicht, sie zu vergessen, wenn sie in Röcken und hohen Schuhen ankam, die ihre umwerfenden langen Beine zur Geltung brachten.
Wollte sie mich jetzt quälen? So sadistisch kannte ich sie gar nicht. Vielleicht war das ein Zeichen dafür, dass ihre Vampirseite stärker wurde.
Sie hatte die Beine übereinandergeschlagen, stellte jetzt die Füße nebeneinander auf den Boden und zog sie unter ihren Stuhl. Dabei funkelten die kleinen Steinchen an ihrem Absatz.
Mist. Früher hatte ich doch nie auf Schuhe von Mädchen geachtet. Sav machte mich noch zu einem Schuhfetischisten.
Ihre Füße zuckten.
Bestimmt nur Zufall, dass ich gerade über sie nachgedacht hatte. Oder?
Ich warf ihr einen Blick zu, weil ich wissen wollte, ob sie mich ansah. Sie drehte sich zur anderen Richtung und bückte sich, um in ihrer Sporttasche rumzukramen. Weil sie meinem Blick ausweichen wollte? Wahrscheinlich.
Vielleicht sollte ich sie nach dem
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