Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
zum Eierkochen (» 7 Min. 30 Sek. => hart«), zum Biseln (»Nur im Sitzen!«) und zur sparsamen Verwendung des Klopapiers (»Zweimal falten genügt!«). Er schluckte. Würde er den Kollegen jemals fragen können, für wen er diese seltsamen Zettel schrieb? Im Wohnzimmer fiel sein Blick auf den Couchtisch: Maier hatte mit roten Pfeilaufklebern die Stelle markiert, an der die Fernbedienung zu liegen hatte.
Unter normalen Umständen hätten sie jetzt losgelegt mit Tiraden über dieses befremdliche Verhalten. Doch im Moment war ihnen ganz und gar nicht danach.
Kluftinger fiel auch auf, dass Maiers große, modern und sachlich eingerichtete Wohnung penibel sauber war. Kein Stäubchen lag auf dem Marmorboden, der sich durch die ganze Wohnung zog, kein Geschirr lag herum, nirgendwo benutzte Wäsche. Nicht einmal ein gebrauchtes Glas. Kluftingers Büro musste dem Leutkircher Kollegen dagegen wie der reinste Seuchenherd vorkommen.
»Ich glaub, der Richie, das ist ein ganz einsamer Hund seit seiner Trennung«, sinnierte Hefele mit bitterer Stimme.
»Ja, aber wundern tut’s mich nicht«, stimmte Strobl zu. »Wenn du mich fragst: Der hat so Ticks, das macht kein Mensch freiwillig mit.«
Kluftinger dachte an das, was ihm Maier auf der Fahrt nach Lindau vor ein paar Tagen vorgebetet hatte: Durch ein Mantra könne man sich von allen Zwängen befreien, die einen belasteten. Davon war er selbst offenbar meilenweit entfernt. »Männer, das ist egal jetzt: Wenn wir dem Richie wirklich helfen wollen, müssen wir möglichst schnell rausfinden, wohin er gestern Abend noch gegangen ist! Sonst ist es vielleicht zu spät, wenn es das nicht eh …« Er vollendete den Satz nicht, und die anderen schwiegen betreten.
Auf dem Sportplatz vor dem Fenster wurde im Flutlicht Fußball gespielt. Auf dem angrenzenden Parkplatz hatten früher die Schausteller Quartier genommen. Bis »jemand« dagegen vorgegangen war. So massiv, dass man seinem Drängen schließlich nachgegeben hatte. »Was bisch du für ein Granatendepp, Richie«, presste Kluftinger kaum hörbar hervor. »Weil du nie dein blödes Maul halten kannst!« Dann stützte er sich einen Moment am Fenster ab. Jeder Atemzug schmerzte. Strobl kam zu ihm, legte ihm seine Hand auf die Schulter, doch der Kommissar schob sie weg und ging auf den kleinen Schreibtisch zu, auf dem ein aufgeklappter Laptop stand.
Als Kluftinger gegen die kleine, weiße Computermaus stieß, die daneben lag, ging der Bildschirm an. »Schaut’s mal!«, rief er, und sofort gesellten sich die anderen zu ihm.
Das Hintergrundbild zeigte Maier in Wanderkleidung, umringt von einem Dutzend asiatisch aussehender, klein gewachsener Menschen, vielleicht Mongolen, die vor einem großen Zelt um ein Lagerfeuer saßen und Tee tranken. Im Hintergrund standen Kamele.
»Also für die Viecher scheint der Richie ja wirklich was übrigzuhaben«, kommentierte Hefele, und Strobl konnte sich den Hinweis nicht verkneifen, der verschollene Kollege sei eben solidarisch mit seinen Artgenossen. Doch im Gegensatz zu sonst fehlte seiner Stimme der ironische Unterton, er klang bitter, und Kluftinger wusste, dass das seine Art war, mit der Angst umzugehen, die sie alle um ihren Kollegen hatten.
»Da, er hat sogar das Kamelhaar samt Asservatenbeutel mit heimgenommen.« Hefele zeigte auf das kleine Plastiktütchen, das ebenfalls auf dem Schreibtisch lag.
»Vielleicht ist was im Computer«, mutmaßte Strobl.
»Dann schau halt mal, du kennst dich doch am ehesten aus mit dem Computerzeug«, forderte Kluftinger ihn ungeduldig auf. »Also, ich mein, bis auf den Richie halt …«
Strobl setzte sich. »Auweh, das ist so ein Mac. Ich weiß fei nicht, ob wir da weiterkommen. Kennst du dich da aus, Roland?«
»Ich? Gott bewahre! Ich bin schon froh, wenn ich mein Windows einigermaßen im Griff hab.«
»Jetzt stellt euch halt nicht so an. So schwierig kann das auch nicht sein, mit diesem Meck da! Ist doch auch bloß ein Computer«, erklärte Kluftinger.
»Na, wenn du das sagst …«
Nach einigen Minuten hatte Strobl es immerhin geschafft, ein Dokument auf dem Bildschirm anzuzeigen, das mit »Akte Herzblut« überschrieben war. Kluftinger setzte sich und überflog den Text.
»Schaut’s mal, das ist wieder so eine Datei wie im Büro. Da hat der Richie fein säuberlich alles archiviert über unseren derzeitigen Fall – nur aus seiner Sicht. Inklusive unserer Fehler und wie er sich dabei fühlt.« Der Kommissar seufzte. Ihm lag eine Bemerkung über
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