Herzen aus Asche
beruhigen. Immerhin tue ich nichts Verbotenes. Ich möchte nur eine Information.
Mit diesem Gedanken betätigte sie die Türklingel. Als nicht sofort jemand öffnete, verspürte sie den Drang, auf dem Absatz kehrt zu machen. Sie liebäugelte bereits ernsthaft mit dem Gedanken, als sie Schritte im Flur hörte. Jetzt war es zu spät für eine Flucht.
Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. Das schmale Gesicht einer jungen blonden Frau erschien dahinter.
»Ja, bitte?« Ihre Stimme klang hoch und leise.
»Mein Name ist Amelie Ivarsson, ich wurde von einem jungen Mann aus dem Souvenirladen hierher geschickt. Er sagte, er sei Ihr Freund.«
»Sven? Ach ja, der A rme muss meinen Vater eine Weile lang vertreten. Was wollen Sie denn von mir?« Sie öffnete die Tür noch immer nicht vollständig, und Amelie fühlte sich zunehmend wie ein unerwünschter Störenfried.
Amelie räusperte sich. Sie spielte nervös mit dem Reißverschluss ihrer Handtasche herum, um ihre Finger zu beschäftigen. »Eigentlich möchte ich gar nichts von Ihnen persönlich, aber ich suche einen Olof Hellström, und bislang weiß ich lediglich, dass Sie seinen Nachn amen teilen. Ich dachte, vielleicht könnten Sie mir weiterhelfen.«
Lisa hob skeptisch eine Augenbraue. »Kommen Sie etwa vom Fernsehen und sind auf der Suche nach lange vermissten Familienmitgliedern? Ich kenne diese Se ndungen.«
»Nein, ich bin nicht mit ihm verwandt. Ich kenne aber jemanden, der es vielleicht ist. Und stellvertretend für ihn suche ich einen Olof Hellström. Oder eher gesagt, seinen Sohn Loan.«
Eine Pause. Lisa Hellström war deutlich anzumerken, wie Entsetzen sich in ihr breit machte. »Loan? Ich kenne ihn nicht persönlich, nur durch die Erzählungen meiner Eltern. Und was ich von ihm gehört habe, ist nicht gerade erfreulich.« Sie öffnete die Tür ein wenig mehr, vermutlich, weil sie in einer unbequemen Körperhaltung um die Ecke spähen musste. Hinter ihr offenbarte sich ein langer, mit Holzdielen belegter Flur. Eine Anrichte aus gelaugtem Kiefernholz stand an einer mit Fotos übersäten Wand. Frau Hellström trug einen grauen Jogginganzug eines bekannten Herstellers für Sportgeräte.
»Loan Hellström ist vor vielen Jahren nach Uppsala gegangen«, fuhr sie fort. »Er ist schon im Kindesalter in ein Kinderheim gegeben worden. Meine Mutter hat e rzählt, er sei das unsympathischste und widerlichste Kind gewesen, das Schweden je gesehen hat.«
Amelie wich ein wenig zurück angesichts der Entrü stung der jungen Dame. »Was stimmte denn nicht mit ihm?«,
»Wie ich schon sagte, kann ich Ihnen nur aus zweiter Hand berichten. Aber Loan Hellström ist bis heute den meisten hier ein Begriff. Er war bösartig, hat fast nie gesprochen, wollte keine Schule besuchen und jeder hat ihn gemieden. Man sagt sogar, sein Vater habe ihn bi sweilen eingesperrt. Manche erzählen sich, Loan hätte übernatürliche Kräfte besessen, sei sogar besessen gewesen. Ich halte das für ein Märchen. Ich frage mich jedoch, weshalb sie ausgerechnet nach ihm fragen.«
»Sind Sie mit ihm verwandt?«
»Über tausend Ecken. Aber meine Familie hat nie Kontakt mit denen gepflegt. Schlimm genug, dass wir den Namen teilen.«
»Und wo ist Loan heute?«
»Was weiß ich. Hoffentlich tot, wenn es stimmt, was man ihm nachsagt.« Amelie spürte, dass Frau Hellström allmählich die Geduld verlor. Offensichtlich wollte sie nicht auf den dunklen Zweig ihrer Familie angesprochen werden.
»Lebt sein Vater noch? Olof Hellström?«
Lisa stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Ja, ganz am Ende des Dorfes, das letzte Haus. Es sei denn, er ist mittlerweile tot, vermissen würde ihn jedenfalls niemand. Er lebt zurückgezogen und lässt sich so gut wie nie im Ort blicken. Er hat keine anderen Verwandten mehr. Aber wenn Sie Glück haben und er sie nicht auffrisst, kann er Ihnen sagen, was mit seinem Sohn passiert ist.« Der Sarkasmus in ihrer Stimme war kaum zu überhören.
»Ich danke Ihnen für die Information«, sagte Amelie und schickte sich an, sich umzudrehen.
»Werden Sie ihn etwa besuchen gehen? Ich rate Ihnen davon ab.«
Amelie nickte nur höflich, sagte aber nichts mehr. Hinter sich hörte sie, wie die massive Kiefernholztür ins Schloss fiel.
Ein warmer Sommerwind strich durch ihre Haare, als sie wieder auf dem Gehsteig an der Hauptstraße stand. Sie blickte abwechselnd von rechts nach links, unentschlossen, was sie als nächstes tun sollte. Ein Bauchgefühl sagte ihr, dass es besser
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