Herzen aus Asche
während sie ihr Handy zurück in die Tasche steckte. Er strich mit dem Handrücken über ihre Wange und wischte eine Träne ab. Seine Berührung fühlte sich kühler an als sonst.
»Es tut mir leid, dass ich dich aufgeschreckt und dich aus dem ... Woher habe ich dich noch gleich geholt?«
»Dem körperlosen Zustand der Zwischenwelt.«
»Wie dem auch sei, es tut mir jedenfalls leid, dich beunruhigt zu haben. Ich wollte nur eine vertraute Stimme hören.«
»Schon in Ordnung. Und was hat dich so aufg ewühlt?«
»Ich habe mich mit meiner Mutter gestritten. Das wirst du sicherlich als kindisch empfinden.«
»Absolut nicht. Ich habe meine Mutter geliebt. Was ist denn vorgefallen?«
Amelie zog geräuschvoll die Nase hoch. Schon wieder sah Leif sie verheult! Sie schämte sich dafür. »Ich habe meiner M utter verschwiegen, wo ich lebe. Sie wusste weder etwas von der Villa noch von dir. Sie hat sich sehr darüber aufgeregt, und einer meiner Freunde hat ihr schließlich die Adresse gegeben. Sie hat mir vorgeworfen, meinen Körper zu verkaufen, um hier leben zu dürfen. Kann man es glauben? Nur, weil sie den Männern abgeschworen hat, erlaubt sie es mir auch nicht.«
Leif senkte den Kopf, seine nassen dunklen Haare fi elen ihm wie ein Vorhang vors Gesicht. Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und lehnte sich nach vorne. Einige Augenblicke verstrichen, ehe er antwortete. »Sie macht sich nur Sorgen um dich. Sie wird irgendwann begreifen, dass sie dich nicht für immer festhalten kann. Und wenn du ihr zeigst, dass sie dich nicht verliert, nur weil du deine eigenen Erfahrungen machst, werden sich die Wogen wieder glätten.«
Amelie seufzte. »Wenn du bloß recht behalten wü rdest.«
Leif richtete sich auf und küsste sie zärtlich auf die Stirn. Er nahm ihre Hand und gemeinsam genossen sie eine Weile lang die Stille.
»Der Streit mit meiner Mutter war nicht der einzige Grund, weshalb ich mit dir reden wollte«, flüsterte Amelie nach einer längeren Pause. »Die Medien berichten momentan über einen Mord in der Klinik, in der auch dein Bruder gestorben ist.«
Leif hob die Augenbrauen und presste die Lippen au feinander, sagte jedoch nichts. Sie erzählte ihm, was sie aus der Zeitung erfahren hatte und äußerte auch ihre Vermutung, dass Loans Geist für alle Morde verantwortlich sein könnte.
»Ich muss zugeben, dass deine Argumente einleuc htend klingen, aber dies würde eine Vielzahl neuer Fragen aufwerfen.« Leif ließ seinen Blick gedankenverloren über eine verdorrte Kletterpflanze schweifen, die sich zu Lebzeiten einst an einem Rankgitter zum gläsernen Dach hinaufgereckt hatte.
»Das neueste Opfer ist der Mann, dem man vorgewo rfen hatte, Loan in den Wassertank geworfen zu haben«, sagte Amelie. »Es hat nur nie Beweise gegeben. Alle Opfer sind ertrunken - wie du. Kann es einen Zweifel geben?« Sie war froh, nicht länger über den Streit mir ihrer Mutter nachdenken zu müssen, auch, wenn die Ablenkung nicht minder unerfreulich war. Aber zumindest ging es dabei nicht um ihr eigenen Leben.
»Und welchen Grund sollte Loan haben, diese Me nschen alle zu töten?«
»Rache, was sonst? Er war ein psychisch kranker Mann. Er hat seinen leiblichen Vater dafür gehasst, dass er ihn in ein Heim abgeschoben hat. Irgendwie wird er herausgefunden haben, wer seine leibliche Mutter war und wo sie lebte. An ihr wollte er sich dafür rächen, dass sie ihn im Stich gelassen hatte. Und auf dich war er ei nfach nur neidisch. Du hast in einer teuren Villa im Luxus gelebt.«
Leif warf ihr einen verwunderten Blick zu. »Du hättest eine gute Polizistin abgegeben.«
»Es liegt doch auf der Hand, Leif. Dazu braucht es keinen messerscharfen Verstand.«
»Aber Loan ist tot, seit fünf Jahren. Ich habe dir b ereits gesagt, dass es einem Geist nicht möglich ist, wie ein Mensch frei durch die Gegend zu wandern. Außer mir kenne ich keinen einzigen, der überhaupt stoffliche Gestalt annehmen kann. Und auch das nur mit Einschränkungen - ich muss im Haus bleiben. Mal davon abgesehen: Weshalb hätte Loan fünf Jahre lang auf seine Rache warten sollen? Weshalb nicht sofort? Die ersten Opfer waren ich und meine Eltern, und ich bin noch nicht einmal vor zwei Jahren gestorben.«
Amelie rieb sich über das Gesicht. Ihre Gedanken ve rloren bedenklich an Kontur, weil sie völlig übermüdet war. Sie musste sich anstrengen, überhaupt noch logisch denken zu können. Leif legte einen Arm um sie und zog sie sanft zu sich heran. Bereitwillig
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