Herzen aus Asche
legte Amelie ihren Kopf auf seine Schulter.
»Du solltest vielleicht schlafen gehen«, sagte er.
»Ich könnte heute Nacht ohnehin kein Auge zutun. Nicht nach der Aufregung von heute Abend.«
»Wenn du recht haben solltest mit deiner Annahme, und es steckt tatsächlich Loans Geist dahinter - was ich schwer bezweifle - dürfte niemand mehr übrig sein, an dem er sich noch rächen könnte. Vielleicht hat der Spuk jetzt ein Ende.«
»Woher sollen wir wissen, ob es nicht noch mehr Menschen gegeben hat, die Loan irgendwann einmal Unrecht getan haben? Er ist vollkommen verrückt, zumindest glaube ich das.«
Leif seufzte. »Ich finde es rührend, dass du dich mit dem Fall befassen willst. Aber weshalb tust du dir das an? Lass die Dinge doch einfach los. Amelie, ich bin tot. Und daran ändert sich auch nichts mehr.«
»Vielleicht könnte ich verhindern, dass noch mehr Menschen ertrinken wegen ihm.«
Er stieß einen Laut aus, den man mit etwas Fantasie als unterdrücktes Lachen hätte identifizieren können. »Wenn er tatsächlich ein Geist sein sollte, wirst du wenig Möglichkeiten haben, dich ihm in den Weg zu stellen. Und davon würde ich dir auch abraten.«
Amelie löste sich von seiner Schulter, um ihm in die Augen sehen zu können. »Es lässt mir aber keine Ruhe. Glaubst du, ich könnte vergessen, dass ich vor ein paar Tagen eine Leiche gefunden habe? Die Runen an der Wand hatten eine Bedeutung, und nachdem ich das Ding auf deinem Oberarm gesehen habe, bin ich mir hundertprozentig sicher, dass dein verkorkster Bruder dahintersteckt. Ich muss es einfach wissen. Und ich will dafür sorgen, dass niemand mehr stirbt.«
Leif lächelte und strich ihr über die Wange, als hielte er sie für ein kleines Kind, das man nicht ernst nehmen konnte. In seine Augen stahl sich ein Anflug von Tra urigkeit. »Weshalb habe ich dich nicht kennengelernt, als ich noch gelebt habe? Schlimm genug, einen Bruder gehabt zu haben, den ich nie gekannt habe.«
»Das war wahrscheinlich auch besser so, nach dem, was wir über ihn erfahren haben. Kein großer Verlust.«
»Es ist ohnehin unbedeutend. Ich habe mich lange Zeit überhaupt nicht um die Welt der Lebenden geschert. Erst, seitdem du hier aufgetaucht bist, ist das Thema wieder präsent für mich.«
Amelie lehnte sich zurück und dachte nach. Für eine Weile breitete sich Schweigen zwischen ihnen aus. »Gibt es eine Möglichkeit herauszufinden, ob Loan ein Geist ist? Gibt es jemanden, der uns sagen kann, ob er für die Morde verantwortlich sein könnte?«, flüsterte Amelie in die Stille hinein.
Leifs Augenbrauen zogen sich zusammen. »Es gibt Geister in der Zwischenwelt, die wesentlich älter sind als ich. Keinem von ihnen ist es bisher gelungen zurückzukehren.« Er schnaubte. »Und ich glaube ehrlich gesagt auch nicht, dass sie Wert darauf gelegt hätten.«
»Kann man sie nicht danach fragen, ob es möglich wäre? Vielleicht haben sie es tatsächlich nie versucht. Weißt du sicher, dass du der einzige Draug bist?«
»Amelie, dein Eifer fasziniert und erschreckt mich gleichermaßen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer der anderen sich mit mir unterhalten möchte. Sie mögen mich nicht.«
»Das war nicht die Antwort auf meine Frage. Ich möchte wissen, ob wir mit anderen Geistern Kontakt aufnehmen könnten.«
»Ich denke schon, wenn ich mir die Mühe machen wollte, sie zu suchen. Aber ich möchte nicht mit ihnen sprechen.«
»Ich aber!« Allmählich stieg Ärger in Amelie auf. Wie konnte Leif so wenig Begeisterung für die Sache zeigen? Immerhin ging es um seine Familie. Oder brachte es der Tod mit sich, dass man die Dinge nüchternder betrachtete?
Amelie verschränkte die Arme vor der Brust. Dann kam ihr eine Idee. »Ich besitze ein Witchboard. Es hat auch vor zwei Jahren schon funktioniert.«
»Ich nehme an, ein Geist hat sich einen Scherz mit dir erlaubt. Das ist vollkommener Blödsinn.«
»Wie dem auch sei, er ist zu mir gekommen. Und er hat etwas von den Hügelgräbern in Alt-Uppsala gefaselt. Nach allem, was ich bisher in Erfahrung bringen konnte, haben Geister einen Faible für die nordische Mythologie.«
»Mag sein. Von den Draugar erzähl ten sich die alten Wikinger immerhin auch. Allerdings berichten sie wenig Schmeichelhaftes. Angeblich sind es Zombies, die um ihr Grab wandern. Ich habe mich nie sonderlich für meine Grabstätte interessiert. Um ehrlich zu sein, weiß ich noch nicht einmal, wo man mich beerdigt hat.« Ein Lächeln kehrte in sein Gesicht
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