Herzen im Feuer
Nicholas sie dadurch gebracht hatte, und Mara löste sich hastig aus seinen Armen.
Nicholas' irritierter Blick folgte ihrer samtgekleideten Gestalt durch den Raum. Ihm entging nicht, wie nervös sie ihre Handschuhe zusam- mensuchte und dabei ständig seinem Blick auswich.
»Ich weiß nicht, ob ich dich heute abend begleiten soll. Ich fühle mich eigentlich nicht wohl«, erklärte sie unvermittelt.
»Anscheinend bist du immer noch gereizt. Wir müssen uns einmal ausführlich darüber unterhalten. Ich erwarte dich in zehn Minuten unten«, bestimmte Nicholas sanft. Als sie nickte, schenkte er ihr einen letzten Blick und verließ das Zimmer.
Der Regen hatte nachgelassen, als die Kutsche von Beaumarais nach Sandrose über die kaum benutzte Verbindungsstraße zwischen den beiden Plantagen holperte. Celeste war zu Hause geblieben, hatte aber Nicole gestattet, die beiden zu begleiten. Sie trug ihr schönstes Kleid aus weißem Seidentüll, das mit kleinen Blumen bestickt war und von einer roten Schärpe zusammengehalten wurde, klopfte ständig unge- duldig mit ihren Tanzschuhen auf den Kutschenboden und schwatzte unermüdlich drauflos, ohne sich überhaupt bewußt zu sein, daß nie- mand ihr zuhörte. Etienne, der als ihr Begleiter mitkam, hockte gries- grämig in seiner Ecke und antwortete nur, wenn die Höflichkeit es absolut erforderte. Nicholas dagegen schwieg die ganze Fahrt über, bis die Kutsche vor Sandrose zum Halten kam.
Mara, die es zum erstenmal sah, erschien Sandrose wie eine riesige Krabbe, die aus den Sümpfen aufgestiegen war. Es thronte unförmig auf unzähligen Backsteinpfählen, und die blakenden Fackeln entlang der Auffahrt warfen gespenstische Schatten über die schmale, zwei- stöckige Fassade. Aus den vielen Balkontüren fiel Licht auf die Galerie
vor dem Haus, und Fetzen fröhlicher Musik und Stimmengewirr schwebten von der hohen Veranda herab, die das Gebäude umgab.
Livrierte Lakaien flankierten die Treppe zum breiten Portal. Nicho- las geleitete Mara hinauf. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, denn sie fragte sich, wie er wohl auf Amaryllis reagieren würde. Aber seine Miene war bis auf ein sardonisches Lächeln vollkommen undurchsich- tig-
Mara wurde das Cape abgenommen, dann stand sie neben Nicholas im warmen Schein der Hunderte von Kerzen, die in den Wandleuch- tern und den Kristallüstern über ihnen brannten. Eine breite Treppe, deren Geländer mit geschnitzten Kletterrosen verziert war, führte hin- auf ins Obergeschoß. Kichernde, plaudernde Mädchen eilten hinauf und wieder hinunter, nachdem sie sich in ihren Zimmern frisch ge- macht hatten.
»Nicholas!« Amaryllis kam in einem eleganten türkisfarbenen Kleid auf sie zugeschwebt und begrüßte sie mit kühler, förmlicher Stimme. Ihr goldenes Haar glänzte mit den Brokatfäden in ihrem Kleid um die Wette. Diamanten akzentuierten ihre weichen Locken, während das dazugehörige Collier und passende Ohrringe ihre blasse Haut schmückten. Plötzlich war Mara dankbar für die geliehenen Rubine.
»Ich habe mich schon gefragt, ob ihr euch verfahren habt, oder ob du vielleicht doch den Mut verloren hast.« Mit gespieltem Schmollen schob sie ihre Hand in Nicholas' Arm. »Bon soir, Etienne. Nicole, du siehst wirklich süß aus, mein Kind«, rief sie dann aus und beraubte letztere in Windeseile ihres Selbstbewußtseins. Neben Amaryllis wirkte sie wie ein Schulmädchen.
»Meine Gäste sterben beinahe vor Neugier, wer mein Über- raschungsgast sein wird. Niemand weiß, daß du zurückgekehrt bist. Es wird ein phantastisches Erlebnis werden. Oh, du mußt Edward ken- nenlernen«, sagte sie plötzlich, als sie einen Mann bemerkte, der in der Tür stand und sie aufmerksam beobachtete. Auf ihre herrische Geste hin gesellte er sich zu ihnen. »Dies ist Edward Ashford, ein sehr guter Freund der Familie«, stellte sie ihn vor.
Er war kleiner und gedrungener als Nicholas und auch älter. Ü ber seiner hohen Stirn wurde sein Haar bereits grau; in fünf Jahren würde er ein Doppelkinn besitzen. Aber seine braunen Augen blitzten fröh- lich, als er sie mit breitem Lächeln begrüßte und Nicholas seine Hand entgegenstreckte. Doch Mara hatte den Eindruck, als würde das Blitzen
ein wenig ermatten, nachdem er den Namen seines Gegenübers erfah- ren hatte.
»Nicholas de Montaigne-Chantale?« wiederholte er nachdenklich. »Von Beaumarais?« fragte er fast dümmlich. Mara fühlte einen Augen- blick lang Mitleid mit diesem Mann, dem in diesem Moment klar-
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