Herzen im Feuer
sein Sohn sei. Hatte ich nicht mehr für sein Gut getan als jeder seiner anderen Söhne? Er konnte es nicht fassen, daß ich meine Rechte einforderte. In diesem Augenblick begriff er, daß ich François getötet hatte, und er fragte mich so unvermittelt danach, daß ich es nicht leugnen konnte. Der Blick. . . mon Dieu, den werde ich nie vergessen. Diese Augen«, murmelte Alain mit in die Ferne gerichtetem Blick. »Er schlug mich ins Gesicht und wies mich aus dem Zimmer. Am nächsten Tag, drunten am Deich, befahl er mir, sein Land zu verlassen. Er drohte mir, mich wie einen Hund zu erschießen, wenn ich nicht ver- schwände.«
Nicholas und Etienne tauschten einen Blick. Beiden war nicht entgan- gen, wie hektisch Alains Halsschlagader klopfte und wie sehr sich seine Muskeln verkrampften. Es bereitete ihm sichtlich Mühe, nach all den Jahren endlich sein Schweigen zu brechen.
»Ich - ich konnte es einfach nicht glauben! In diesem Augenblick begann ich ihn zu hassen für das, was er mir gestohlen hatte. Ich erklärte ihm, daß ich Herr über Beaumarais sein wollte und daß ich mich nicht verjagen ließe wie Nicholas. Als ich deinen Namen nannte, schien ihn der Wahnsinn zu übermannen. Er griff mich an und begann mich auszupeit- schen, als wäre ich einer seiner Sklaven. Er war so stark. Ich hätte ihm niemals diese Stärke zugetraut, deshalb schlug ich zurück«, gestand Alain blinzelnd. »Ich traf ihn ins Gesicht, so daß er strauchelte und mit dem Kopf an den Stamm der Eiche schlug. Dann fiel er in den Fluß. Einen Augenblick lang trieb er an der Oberfläche, dann verschwand er. Ich sah ihn nicht mehr - erst an jenem Tag, als man ihn fand.«
Nicholas hatte keine Sekunde den Blick von Alain gewandt. Er machte einen Schritt vorwärts.
»Nimm dich in acht!« warnte ihn Alain und zielte mit der Pistole auf Nicholas' Brust. »Ich möchte dich nicht erschießen, aber ich werde es
notfalls tun. Du kannst mir nichts beweisen, es gibt keine Beweise mehr. Ich habe das Testament, und dich hält man immer noch für Franqois' Mörder. Du bist fremd hier, ich nicht.« Seine Augen began- nen haßerfüllt zu glänzen, als Nicholas einen weiteren Schritt vorwärts machte. »Ich warne dich, Nicholas, ich möchte dich nicht töten müs- sen. Ich bin dir sogar dankbar, denn du bist gerade rechtzeitig gekom- men, um Celeste daran zu hindern, Beaumarais zu verkaufen, mon frère.«
»In der Hölle sollst du schmoren«, flüsterte Nicholas und machte noch einen Schritt vorwärts, ohne sich der Gefahr bewußt zu sein, in der er schwebte.
Aber Mara war sich ihrer bewußt. Sie warf sich vor ihn, bevor er noch einen Schritt machen konnte, und im gleichen Moment drückte Alain ab.
Der Knall echote im Zimmer und mischte sich mit Paddys Schrek- kensschrei, der das Blut aus Maras Arm spritzen sah.
Nicholas fühlte, wie Mara in seinen Armen zusammensank, und fing sie auf. Er blickte ihr ins Gesicht, und sein Herz setzte einen Schlag lang aus. Sie versuchte zu lächeln und lehnte sich an ihn.
»Mon DIEU, Alain!« schrie Etienne, und Tränen der Scham und des Schmerzes strömten ihm übers Gesicht.
»Die nächste Kugel gilt dir. Verzeihen Sie, Mademoiselle O’Flynn, ich wollte Sie nicht treffen. Aber ich werde Nicholas erschießen«, versprach Alain.
»Master Nicholas! Master Nicholas!« rief der Butler außer sich, der in diesem Moment ins Arbeitszimmer gelaufen kam. »Der Fluß kommt, schnell!«
Nicholas blickte in das angsterfüllte Antlitz des schwarzen Butlers, dann auf Maras bleiches Gesicht und schließlich auf das Blut, das auf den Boden tropfte.
Alain beobachtete ihn genau, ohne die Pistole zu senken.
»Das Spiel ist noch nicht vorbei, Alain. Du bist ein Narr, wenn du das glaubst. Oder daß ich dich leben lasse, nach all dem, was du mir angetan hast«, prophezeite Nicholas.
Er hob Mara auf seine Arme. Dann warf er Etienne einen kurzen Blick zu. »Kommst du?«
Etienne nickte verwirrt und drehte sich um, wobei er fast gestolpert wäre. Auf Nicholas' Nicken hin trat der Butler hinzu. Seine Augen
weiteten sich erschreckt, als er die Pistole in Alains Hand sah. Er nahm Etiennes Arm und führte ihn aus dem Zimmer.
Paddy wich Nicholas keinen Zentimeter von der Seite, als sie das Zimmer verließen. Zurück blieb Alain, der triumphierende Alleinherr- scher über Beaumarais.
Nicholas hob erst Mara, dann Paddy in die Kutsche. Als man Etienne ebenfalls hineingeholfen hatte, gab Nicholas der Kutschenkarawane ein Zeichen, und sie fuhren
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