Herzen im Feuer
nach, die im Ar- beitszimmer verschwand. »Verdammt noch mal! Wir haben keine Zeit mehr, jetzt noch die Bibliothek zu durchforsten«, fluchte er.
Sie warteten eine Minute, während ihre Koffer herunter und in die bereitstehende Kutsche getragen wurden. Als Etienne immer noch verschwunden blieb und Stimmen aus dem Arbeitszimmer drangen, folgte ihm Nicholas. Mara und Paddy blieben ihm auf den Fersen.
»Etienne, beeil dich, wir haben keine Zeit für -« Nicholas hielt abrupt inne, als er Etienne mitten im Zimmer stehen sah, zwei Bücher in der Hand. Der Alte starrte auf den Mann, der es sich in dem großen, bequemen Ledersessel neben dem Feuer gemütlich gemacht hatte.
»Alain, was zum Teufel soll das?« wollte Nicholas wissen. Das Feuer war eben erst angezündet worden, und Alain hielt ein Glas Brandy in der Hand. Auf dem Tisch neben ihm lag in Reichweite eine Pistole.
»Ich werde Beaumarais nicht verlassen«, erklärte Alain ruhig und ganz ohne seine übliche Unterwürfigkeit.
»Mein Gott, Alain«, sagte Nicholas ungeduldig, »der Fluß wird das Haus mindestens zwei Meter hoch unter Wasser setzen.«
Ein kurzes, freudloses Lächeln flog über Alains Gesicht, dann nahm er einen Schluck von seinem Brandy. »Der große Nicholas de Mon- taigne-Chantale ist also ein Feigling. Was soll man auch von einem erwarten, der seinen Bruder erschießt.«
»Alain, mein Sohn«, setzte Etienne an, »du weißt ja nicht, was du da sagst.«
Alain schenkte Etienne einen verächtlichen Blick. »Sohn?« fragte er.
Etienne erbleichte. Die Bücher fielen ihm aus der Hand und polter-
ten zu Boden. »W-wie meinst du das?«
»Ich glaube, es wird Zeit, die Wahrheit zu sagen, nicht wahr, Papa?« erklärte Alain bösartig. »Denn schließlich hat mon frère Nicholas ein Recht darauf zu wissen, warum er Beaumarais verliert.«
Nicholas' Augen weiteten sich überrascht.
»Ja«, wiederholte Alain mit unverhohlener Häme, »du bist mein Bruder - Halbbruder, um genau zu sein. Ich bin Alain de Montaigne- Chantale, nicht Ferrare, wie jeder glaubt. Frag ihn«, - Alain deutete mit einer Kopfbewegung auf Etienne - »ob ich die Wahrheit sage.«
Nicholas schaute Alain fassungslos an. »Du bist verrückt gewor- den.«
»Wirklich? Sieh ihn an!« schrie Alain und zeigte jetzt mit dem Finger auf Etienne.
Nicholas wandte langsam den Kopf und starrte seinen Onkel an. Trauer und Schmerz in Etiennes Blick verrieten ihm, daß Alain die Wahrheit gesagt hatte.
»Und?« fragte Nicholas.
Etienne nickte kaum merklich. »Er ist Philippes Sohn.«
»Endlich! Nach all den Jahren voller Lügen«, lachte Alain triumphie- rend.
Nicholas starrte Etienne eine Sekunde lang wortlos an und drehte sich dann wieder zu Alain um. Zum erstenmal entdeckte er gewisse Ähnlichkeiten zwischen Alain und sich selbst. »Du bist also mein Halbbruder? Und was beweist das?«
»Nun, ich bin nicht nur ein de Montaigne-Chantale. Ich bin auch der älteste Sohn. Ich bin der Erbe von Beaumarais, nicht du, Nicholas. Nicht du!« spie Alain.
Er langte in seine Rocktasche und holte das Dokument hervor, das er in dem Geheimfach gefunden hatte. »Ein Testament, geschrieben von meinem Vater Philippe, in dem er mich zum Erben von Beaumarais bestimmt. Ich bin der Herr über dieses Haus«, stellte er fest. Sein Blick verriet, daß er keinen Zweifel daran zulassen würde.
Nicholas' Blick traf auf Alains. »Warum verrätst du das erst jetzt? Warum nicht vor einem Jahr, als mein Vater starb?« wollte er wissen.
Alains hartes Lachen hallte im Raum wider. »Weil der alte Fuchs das Testament versteckt hatte, deshalb. Ich hab' es seit seinem Tod gesucht. Und nur einem kleinen Jungen habe ich mein Erbe zu verdanken, der beim Spielen das Geheimfach findet, das ich so lange gesucht habe«, erläuterte Alain, halb erheitert, halb verärgert.
Nicholas und Mara schauten auf Paddy, der den Aufseher mit großen Augen ansah. »Ich?«
»Ich war hier, als du deinen Zinnsoldaten holen kamst. Du kamst dir mein Erstaunen nicht vorstellen, als du schnurstracks zum Fensterbrett marschiertest, das Brett beiseite schobst und dann wieder verschwan- dest, ohne mich überhaupt zu bemerken.«
Nicholas ging langsam zum Fensterbrett hinüber. Auf Paddys Nik- ken hin tastete er das Holz ab, bis er das Brett fand. Er schob es zurück und legte das Geheimfach darunter frei. Er langte hinein, zog das Tagebuch heraus und blätterte darin herum, während er zu Alain zurückkehrte. Seine Augen verengten sich zu schmalen
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