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Herzensruhe

Herzensruhe

Titel: Herzensruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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versammelt. Da bin ich mit allem, was mich ausmacht. Wer in den Händen lesen kann, kann das Wesen eines Menschen darin erkennen. So kann ich in meinen offenen Händen alles, was in mir ist, Gott hinhalten. Dann habe ich das Gefühl, daß es bei Gott aufgehoben is t, daß ich selbst von Gott getragen bin.
    Manchmal ist mir nach einer anderen Gebärde zumute. Da ist die Gebärde des Kreuzes. Wenn ich im Sommer um 5.45 Uhr morgens nach der Vigil unsere Bachallee entlang gehe, dann stelle ich mich manchmal in dieser Kreuzgebärde in die Sonne und in die frische Luft des Morgens. Dann fühle ich mich ganz eins, eins mit der Schöpfung, eins mit Gott, eins mit mir selbst, eins mit allen Menschen. Da ist dann keine Spaltung mehr in mir zwischen Himmel und Erde, zwischen Geist und Trieb, zwischen Spiritualität und Sexualität. Da ist alles eins. Das ist für mich eine tiefe Erfahrung. Ich kann die Erfahrung nicht
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    einfach herbeizaubern, auch durch die Gebärde nicht. Aber indem ich die Arme weit ausbreite, erahne ich manchmal, wie das ist, mit allem eins zu sein, alleins zu sein.

    Mit der Unruhe sprechen

    Viele beklagen sich darüber, daß sie nicht still werden, wenn sie sich einmal Zeit nehmen für sich. Sie möchten ruhig werden, aber es tauchen ständig Gedanken auf. Sie möchten beten oder meditieren, aber sie werden von einer Flut von Gedanken überschwemmt. Die Mönche raten dann, diese Gedanken genauer anzuschauen. Ich muß mich erst den Gedanken zuwenden. Sie zeigen mir meine Probleme. Wenn ich die anschaue und sie vor Gott halte, komme ich langsam zur Ruhe.
    Dann erst kann ich wirklich beten. Vielleicht taucht da der Ärger über einen Mitarbeiter auf. Ich kann versuchen, den Ärger zu klären. Aber wenn er trotz aller Meditationsversuche immer noch in mir ist, ist er vielleicht ein Ansporn, wirklich in der Realität etwas zu verändern. Ich kann auf diesen Menschen zugehen und mit ihm klären, was mich an ihm stört. Oder ich kann auf mehr Distanz gehen, damit der andere mich mit seinen Problemen nicht mehr infiziert. Vielleicht kommt in mir Traurigkeit hoch über all das, was ich nicht gelebt habe. Dann muß ich mich erst der Traurigkeit stellen, um durch sie hindurch zur Ruhe zu finden. Das kann sehr schmerzlich sein. Aber nur wenn ich durch den Schmerz hindurchgehe, werde ich zu wahrer Ruhe finden. Wenn ich meine Traurigkeit übergehe, wird sie mich immer wieder einholen oder sich in einer diffusen Unzufriedenheit und Unruhe ausdrücken.
    Manche meinen, es seien völlig unwichtige Gedanken, die da in ihnen auftauchen und sie vom Beten oder von der Stille abhalten. Und sie haben den Eindruck, beim Beten komme nichts dabei heraus, es sei nutzlos. Aber dann wäre es eben
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    wichtig, trotzdem diese oberflächlichen Gedanken wahrzunehmen. Das ist ja auch ein Teil von mir. Ich bin eben auch oberflächlich und bana l. Ich hänge gerade an äußeren Dingen und könnte mich fragen, warum mir das alles so wichtig ist. Oder ich könnte mich fragen, wem ich mit meiner Oberflächlichkeit ausweiche. Vielleicht entdecke ich dann unterhalb der Oberfläche einiges, das mir nicht so angenehm ist.
    Vielleicht stoße ich auf mein eigentliches Problem. Alles, was in der Sülle in uns auftaucht, hat einen Sinn. Wir sollen es anschauen, ohne zu bewerten. Aber wir sollen damit ins Gespräch kommen, damit es uns sagen kann, wofür es steht.
    Manchmal ist die Unruhe ein Indiz dafür, daß diese Art von Meditation, die ich gerade übe, für mich gar nicht stimmt, daß ich sie mir nur übergestülpt habe. Dann zeigt mir die Unruhe, daß ich noch nicht am Ziel bin, daß ich noch anderswo weiter suchen muß, bis ich meine Form des Betens gefunden habe.
    Oder aber die Unruhe zeigt mir, daß da noch viele unerledigte Sachen in mir sind, die ich erst anschauen muß. Die völlig unwichtigen Gedanken, die immer wieder auftauchen, verdecken nur, was darunter an eigentlichen Problemen verborgen liegt. Vielleicht sind die oberflächlichen Gedanken nur der Deckel, den ich über meinen inneren Vulkan halte, weil ich Angst habe, diesen Vulkan anzuschauen.
    Eine Frau beklagte sich immer wieder, daß ihr Beten nur Zeitverschwendung sei, weil sie an tausend nichtige Sachen denke. Sie wollte nach einem Trick suchen, um endlich konzentriert beten zu können, so beten zu können, daß es vor dem Urteil des eigenen Über-Ichs standhielt. Es dauerte lange, bis sie hinter den oberflächlichen Gedanken ihre wahren Bedürfnisse und ihr ungelebtes

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