Herzensruhe
weiter auftauchen. Wir können sie nicht abstellen. Aber wenn wir sie nicht beachten, wenn wir durch Wort und Atem immer tiefer in den eigenen Seelengrund gelangen, dann kann es sein, daß es für einen Augenblick ganz still ist in uns. Ich spüre dann: jetzt berühre ich das Eigentliche. Jetzt bin ich ganz da, ganz bei mir, ganz bei Gott. Jetzt ist in mir der Raum der Stille, den niemand von außen betreten kann, in dem mich niemand erreichen, niemand beunruhigen kann. Dort finde ich wirklich zur Ruhe. Aber ich darf mich nicht ärgern, wenn ich im nächsten Augenblick schon wieder abschweife und irgendwelche Probleme auftauchen. Ich weiß, daß da tief in mir ein Raum ist, wo das alles nicht hindringen kann, in dem ich einfach bin. Es ist der Raum, in dem Gott selbst in mir wohnt. Gott befreit mich von der inneren und äußeren Unruhe. Er befreit mich von den Meinungen, die andere über mich haben, von ihren Erwartungen und Urteilen, von ihrer Eifersucht, von ihren Verletzungen.
Allein die paar Augenblicke, in denen ich diesen inneren Raum in mir spüre, genügen, um mir auch für den Rest des Tages das Gefühl zu vermitteln, daß da trotz aller äußeren Hektik etwas Unberührbares in mir ist, ein Raum der Ruhe, der von den äußeren Anforderungen und Konflikten nicht angetastet wird.
Wege über den Leib
Die frühen Mönche wissen, daß es uns manchmal gar nicht
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helfen kann, uns zur Meditation hinzusetzen. Dem, der von seinen Leidenschaften hin und her gezerrt wird, raten sie, erst ein paarmal um sein Kellion zu gehen. Wenn wir zu aufgewühlt sind, dann ist es besser, erst einmal die Unruhe durch einen längeren Spaziergang oder einen Waldlauf zu vertreiben. Im Gehen kann ich mich freigehen von der inneren Unruhe, von Problemen, die mich umtreiben. Der dänische Religionsphilosoph Sören Kierkegaard hat die Erfahrung gemacht, daß es keinen Kummer gibt, den er sich nicht weggehen kann. Auch im ruhigen Laufen kann ich mich freilaufen von dem, was mich beschäftigt. Allerdings wird das nicht gelingen, wenn mein Joggen von einem inneren Leistungsdruck geprägt ist, wenn ich immer nur die Kilometer zähle, die ich mir als Pensum vorgenommen habe. Ich muß mich ganz der Bewegung überlassen. In der Bewegung übernehme ich das innere Bewegtsein und bringe es zur Ruhe. Wenn ich mich nach einem Spaziergang im Zimmer zur Meditation hinsetze, dann bin ich viel ruhiger als vorher. All die innere Unruhe ist verflogen. Gerade in unserer hektischen Welt brauchen wir leibhafte Weisen, um die Unruhe zu vertreiben. Das kann neben dem Spazierengehen oder Laufen auch eine Gartenarbeit sein.
Wenn ich mit dem Leib meinen inneren Dampf ablasse, kann ich nachher viel ruhiger sein.
Ein anderer Weg, über den Leib zur Ruhe zu kommen, sind autogenes Training oder Eutonie. Bei beiden Methoden versuche ich, das Bewußtsein in den Leib zu verlagern. Das autogene Training arbeitet mit der Methode der Autosuggestion.
Ich stelle mir z. B. vor, wie mein rechter Arm warm und schwer wird. Indem ich den Leib zur Ruhe bringe, kommen auch die inneren Turbulenzen zur Ruhe. Für viele ist das autogene Training ein guter Weg geworden, von der Arbeit abzuschalten und zur Ruhe zu kommen. In der Eutonie nehme ich die Spannungen wahr, die sich in meinem Leib festgesetzt haben.
Indem ich den Atem an die verspannten Stellen meines Leibes
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hinfließen lasse, können sich die Spannungen auflösen. Die Spannungen im Leib sind immer Ausdruck von psychischen Verspannungen, von dem Druck, den ich mir setze, vom Sich-Festhalten und Sich-Festklammern. Durch die richtige Spannung im Leib (Eutonia = Wohlspannung) bekommt auch die Seele die richtige Spannkraft. Die Unruhe verfliegt, und es entsteht eine schöpferische Ruhe.
Für mich bedeutet der Weg des Leibes auch, in Gebärden vor Gott auszudrücken, was mich bewegt. Manchmal bin ich beim Sitzen zu unruhig. Auch wenn ich mich auf den Atem konzentriere und mich vom Atem in die Ruhe führen lassen möchte, weicht die Unruhe nicht. Dann hilft es mir, die Hände zu einer Schale zu formen und mit meinem ganzen Bewußtsein in den Händen zu sein. Die Gebärde bringt mich zur Ruhe. Denn sie führt mich weg vom Kopf. Wenn ich ganz in einer Gebärde bin, dann hört der innere Lärm auf. Ich muß dann nichts denken, auch keine frommen Worte sprechen. Ich bin nur in der Gebärde. Das kann die Gebärde der offenen Hände sein, in der ich mich selbst Gott hinhalte. In den Händen ist ja mein ganzes Sein
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