Herzensstürme - Roman
jetzt auf einen farbenprächtigen, gestickten Wandteppich, der fast die gesamte Stirnseite der Halle einnahm, und der so kunstvoll gearbeitet war, dass die Gestalten darauf lebendig schienen. Sie sah Pferde stürzen, gefallene Kämpfer bedeckten den Boden, andere ritten über sie hinweg, Lanzen bohrten sich in die Körper der Kämpfenden, Schwerter trennten Köpfe und Glieder ab.
»Geh voran, Connors Braut!«
»Dein Bräutigam wartet auf dich!«
Ein Mann stand vor dem Wandteppich, drehte ihr den Rücken zu, doch an Haar und Gestalt erkannte sie Angus. Wie kostbar er gekleidet war, wie seidig sein blaues Gewand glänzte, in weichen Falten fiel ein roter Mantel von seiner linken Schulter.
Eine übergroße Sehnsucht zog sie zu ihm hin und doch ängstigen sie die schrecklichen Bilder, die immer mehr an Leben gewannen und aus dem Wandteppich herauszutreten schienen. Angus wartete auf sie, unbeweglich, ohne sich zu ihr umzuwenden. Sie hörte die Damen und Ritter flüstern, spürte, wie man sie ungeduldig voranschob, und langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen.
»Sie ist eine Bardin«, tuschelte es hinter ihr.
»Sie tanzt auf den Märkten für andere Männer.«
»Sie hat die schwarzen Augen einer Heidin.«
Sie ging rascher, versuchte dem boshaften Geflüster zu entkommen, eilte auf den Wandteppich zu, dessen Gestalten nun riesig vor ihr emporwuchsen und auf sie eindringen wollten. Angus stand immer noch ohne eine Regung, als sei er aus Erz gegossen.
»Ihre Mutter war eine Sarazenenhure.«
»Niemals kann eine Bardin einen Ritter heiraten.«
»Legt sie in Ketten. Werft sie in den Burggraben!«
In verzweifelter Panik stürzte sie auf Angus zu, wollte hilfesuchend nach seiner Hand greifen, sich an seine Brust werfen, um Schutz bei ihm zu finden. Da drehte er sich zu ihr um, und sie erstarrte vor Grauen.
Der Mann, der Angus glich, hatte kein menschliches Antlitz. Der Kopf eines Wolfes saß auf seinen Schultern.
Sie erwachte schweißgebadet, weil jemand an die Tür ihrer Kammer pochte.
»Was ist geschehen? Ich hörte Euch schreien.«
Sie konnte nicht sogleich antworten, denn immer noch sah sie die schmalen gelben Augen vor sich, die spitzen Zähne, die unter den hochgezogenen Lefzen des Wesens hervorkamen …
»Es … ist nichts, Vater«, stammelte sie. »Ich … ich hatte einen Traum.«
»Gott wehre den bösen Dämonen ab und sende dir seine Engel, dass sie deinen Schlaf bewachen, meine Tochter.«
Sie lag lange wach, kämpfte gegen die Angst, redete sich ein, dass so ein dummer Traum nichts zu bedeuten hatte, und schlief erst gegen Morgen wieder ein.
Teil II:
Liebe und Verrat
Kapitel 18
Sutherland
Noch nie in ihrem Leben war Brianna in den schottischen Highlands gewesen, und doch spürte sie mit jedem Tag mehr, dass sie heimkehrte. Es war ein glückhaftes Empfinden, das sie mal vor Begeisterung jubeln und dann wieder in sich gekehrt und still vor sich hinreiten ließ, so dass Angus nicht recht wusste, wie er diese raschen Stimmungswechsel deuten sollte.
»Hast du Kummer?«
»Aber nein. Ich bin glücklich.«
Er ritt neben ihr her und betrachtete sie besorgt von der Seite.
»Aber du bist auf einmal so schweigsam. Bist du müde? Sollen wir eine Rast machen?«
Sie lachte über seine Fragen. Nein, keine Rast. Sie war nicht müde, sie war nur beschäftigt, alles um sie herum in sich aufzusaugen. Die unendliche Weite dieses Landes, das so majestätisch und wild daherkam, die schimmernden Seen, in denen sich Birken und Ebereschen im rötlichen Herbstkleid spiegelten. Dunkle Hügel taten sich in der Ferne auf wie die Rücken gewaltiger Lindwürmer. Ritt man näher heran, dann schienen sie gepanzert mit schrundigem grauem Fels.
»Die Wolken«, sagte sie aufgeregt und wies mit dem Finger in die Ferne. »Nie habe ich solch wundervolle Wolkenbilder gesehen. Als ob über den Hügeln und Tälern eine zweite Landschaft hervorwüchse, ein geheimnisvolles Königreich voller Berge, Schluchten und tiefer Gewässer, nebelig und geisterhaft …«
Angus starrte sie an, blickte dann hinüber zu den rasch wandernden Wolken, die ihm zwar wild und grau, aber keineswegs geheimnisvoll erschienen.
»Du bist eine Träumerin, Brianna«, lachte er. »Ich kenne dieses Land seit meiner Kindheit, aber nie sah ich fremde Königreiche in den Wolken. Nur wie das Wetter sich verändern wird, das könnte ich dir sagen. Ich fürchte, wenn der Wind nachlässt, werden wir Regen bekommen.«
»Und wenn schon«, meinte sie
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