Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde
Kontakt aufzunehmen.
Noch nie war er sich so verlassen vorgekommen. Die Unruhe, die er schon geraume Zeit in sich spürte, breitete sich in beängstigendem Maß aus. Sein Puls ging rasend, und seine Kehle war staubtrocken. Vorwärts taumelnd versuchte er Charons Boot zu erreichen, um sich daran festzuklammern, aber seine Hände griffen ins Leere.
„Sutekh! Sutekh!“, rief er aus voller Kehle. Als Antwort hörte er nur das Plätschern des Wassers, das gegen den Rumpf des Boots schlug. Nach einer Weile verstummte auch dieses Geräusch.
Es war nichts mehr da – kein Boot, keine Toten, kein Fluss, keine Wolken, kein Horizont, kein Geruch, kein Geräusch. Es war das blanke – Nichts. Das Einzige, das Lokan wahrnahm, war seine wachsende Panik.
* * *
Toronto, Kanada
Pyotr Kusnetzov nickte dem Mitarbeiter freundlich zu, der vor Djeserit Basts Büro Posten bezogen hatte. Als er jedoch näher treten wollte, machte der Mann einen Schritt zur Seite und versperrte Pyotr demonstrativ den Weg.
Kalte Wut stieg in Pyotr auf, aber er beherrschte sich schnell wieder, bevor er sich irgendetwas anmerken ließ. Der arme Gorilla vor ihm tat nur seine Pflicht. Wozu sollte Pyotr seinen Zorn an ihn verschwenden? Den würde er sich aufheben, bis er ihn bei passender Gelegenheit an Djeserit selbst auslassen konnte.
Er blieb stehen und meinte höflich: „Ich glaube, ich werde erwartet.“
Im selben Moment hörte er ein Klicken, und die Tür hinter dem Wachposten ging wie von Geisterhand auf. Pyotr hatte die Krawattennadel des anderen wohl bemerkt und lächelte in die Kamera. Diese Idiotin. Glaubte sie im Ernst, er ließe sich von ihren Spielchen beeindrucken? Er kannte all die versteckten Kameras und den Knopf unter Djeserits Schreibtisch, der es ihr erlaubte, die Tür zu öffnen, ohne ihrem Besucher entgegenkommen zu müssen. Sicherlich war diese Frau nicht auf den Kopf gefallen, aber dass sie so leicht zu durchschauen war, würde ihr noch einmal das Genick brechen.
Als er das Büro betrat, war Pyotr noch damit beschäftigt, seinen Ärger zu unterdrücken. Er hätte große Lust gehabt, die Sachen, die auf Djeserits Schreibtisch lagen, mit einer Handbewegung hinunterzufegen. Stattdessen hob er einen Kugelschreiber auf, den er auf dem Teppich liegen sah, und brachte ihn ihr, wobei er die freundliche Geste als Vorwand benutzte, neben ihren pompösen Schreibtischsessel zu treten, um sich vor ihr aufzubauen.
Lächelnd legte er den Stift auf die Schreibtischplatte und fragte: „Was hast du mit unserem Freund gemacht?“
„Welchen Freund meinst du?“
„Den, der uns geholfen hat, unserem letzten Opfer das Fell abzuziehen.“
Djeserits Nasenflügel bebten. Zweifellos erinnerte sie sich nicht gern an die Szene, die Pyotr ansprach. Sie hatte sich da auf eine gefährliche Sache eingelassen. Es war notwendig gewesen, obwohl sie ein wahnsinniges Risiko eingegangen waren.
„Ach, du sprichst von Marin.“ Djeserit zog die nicht vorhandenen Augenbrauen hoch, und ihr Gesicht bekam einen etwas hochmütigen Ausdruck. „Marin ist tot. Du bist nicht ganz auf dem Laufenden, mein Lieber.“
Pyotr ließ sich Zeit mit seiner Reaktion. Dann beugte er sich zu ihr und erklärte ruhig: „Ich bin nicht dein Lieber.“ Diese Frau schien nicht zu wissen, wen sie vor sich hatte. Das plötzliche Ableben von Mr Marin hatte er höchstpersönlich eingefädelt. „Ich weiß sehr wohl über das Schicksal unseres unglücklichen Frank Marin Bescheid.“ Um den es nicht schade ist, ergänzte Pyotr für sich. Er war nicht unglücklich über dessen gewaltsames Ende. Frank Marin war einer von zwei Besuchern, die unerwartet im Tempel der Setnakhts aufgetaucht waren. Aber Pyotr wähnte sich dennoch in Sicherheit: So wenig wie die junge Miss Roxy Tam hatte Marin bei seiner Visite etwas Nennenswertes in Erfahrung bringen können.
„Wen meinst du dann?“
Stellte sie sich dumm? Wollte sie ihn testen? Sie wusste sehr genau, wen er dafür vorgesehen hatte, das Opferlamm zu schlachten. „Ich spreche von seinem Bruder.“
Das Funkeln in Djeserits Augen war verräterisch. Anscheinend wusste sie doch mehr als er. „Er ist ebenfalls tot.“
Pyotr richtete sich ruckartig auf, besann sich jedoch schnell, um sich keine Blöße zu geben. Damit hatte er nichtgerechnet, und es passte ihm überhaupt nicht. Dass Frank Marin hinzugezogen worden war, war ein kalkuliertes Risiko gewesen. Seine Beteiligung war mehr oder weniger allgemein bekannt, und sein Tod war nicht
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