Herzenstimmen
Stunden mit dem Bus von Kalaw entfernt. Er war verheiratet, hatte zwei oder drei Kinder, sein Schwiegervater besaß an der Haupt straße eine Autowerkstatt, wo er angeblich als Mechaniker ar beitete. Er gehörte zu den Jugendlichen, die das Militär an jenem Morgen aus dem Dorf verschleppt hatte, und ihm war nach einigen Jahren die Flucht gelungen. Würde er uns etwas über Thar Thar sagen können?
Wir nahmen den nächsten Pick-up nach Thazi. U Ba kletterte aufs Dach, auf dem ein halbes Dutzend junger Männer zwischen Einkaufstüten und Säcken kauerten. Mich zog jemand auf die Ladefläche, wo auf den ersten Blick gar kein Platz war. Die anderen Passagiere rückten noch dichter zusammen, ein Kind hockte sich auf den Schoß seiner Mutter, ich quetschte mich zwischen die beiden und einer alten Frau auf eine Holzpritsche. Es war so eng, dass ich sofort zu schwitzen begann und kaum Luft bekam. Der Mann gegenüber lächelte mir freundlich zu, den Anblick seiner rot gefärbten Zähne fand ich kaum zu ertragen.
Die Straße führte in engen Serpentinen steil ins Tal hinunter. Mit jeder Kurve nahmen meine Beklemmungen zu, mir wurde übel, ich war kurz davor, mich zu übergeben. Raus. Ich musste raus. Bei der ersten Haltestelle zwängte ich mich ins Freie und stieg zu meinem Bruder aufs Dach. Wir saßen ganz vorn über dem Fahrer und klammerten uns an das Gitter, auf dem wir hockten. Das Auto war hoffungslos überladen, es schwankte in jeder Kurve bedrohlich.
Die Straße war voller Schlaglöcher, ausgewaschen von der Regenzeit, an den Rändern ging es steil bergab, es gab keine Leitplanken oder andere Befestigungen. Im Gestrüpp unter uns war immer wieder mal ein Autowrack zu entdecken. In mir stieg eine Panik auf, die mich jeden Moment zu überwältigen drohte. Mein Bruder spürte meine Angst.
»Schau in den Himmel, atme ganz tief ein und aus und denke an etwas anderes«, sagte er.
Ich versuchte es. Blickte hoch, konzentrierte mich auf meinen Atem und dachte an New York, an Amy, meine Wohnung. Ruhiger machte mich das nicht. Ich dachte ans Meer. An einen langen Strand, das monotone Rauschen einer schwachen Brandung, an U Bas Stimme, die in einem langen Redefluss zu mir sprach. Ich hörte das Singen der Novizen am frühen Morgen im Kloster und beruhigte mich allmählich.
Das Erste, was wir von Maung Tun sahen, waren seine langen, dünnen Beine. Er lag unter einem Kleinbus und hämmerte auf etwas herum. Die anderen Mechaniker in ihren hochgeknoteten Longys und verschwitzten T-Shirts musterten uns neugierig.
»Hey, Maung Tun«, rief einer schließlich.
Das Hämmern hörte auf. Unter dem Auto kroch ein ölverschmierter Mann hervor.
Er war so groß wie ich und starrte uns überrascht an. Ein hagerer Mann mit eng beieinanderliegenden Augen, buschigen Brauen, einem schmalen Gesicht, kräftigen Wangenknochen und einer tiefen Narbe auf der Stirn. Lippen und Zähne waren vom Saft der Betelnüsse rot gefärbt. An seiner linken Hand fehlten zwei Finger.
Maung Tuns Blick flog zwischen meinem Bruder und mir hin und her. U Ba fragte ihn etwas, er nickte irritiert, griff nach einem Lappen und versuchte sich ohne großen Erfolg die Hände zu säubern.
U Ba sprach weiter, und obwohl ich kein Wort verstand, wusste ich ungefähr, was er sagte. Wir wollten ihn in ein Teehaus einladen oder, falls er hungrig war, in ein nahe gelegenes chinesisches Restaurant.
Maung Tun nickte und sagte etwas zu den anderen Männern, die wieder an die Arbeit gingen.
»Er hat keinen Hunger«, flüsterte mein Bruder mir zu, »aber er kommt gerne mit ins Teehaus.«
In Thazi war es viel heißer als in Kalaw, das grelle Licht blendete, ich setzte meine Sonnenbrille auf und gleich wieder ab. Es war mir unangenehm, als Einzige einen Schutz gegen die Sonne zu tragen.
U Ba und Maung Tun gingen ein paar Meter vor mir, in ein Gespräch vertieft, wir überquerten die Hauptstraße, auf der reger Verkehr herrschte. Kleintransporter, Traktoren, Lastwagen und Busse rollten durch den Ort, dazwischen Ochsenkarren, eine Pferdekutsche, Fußgänger und Fahrradfahrer. Die Fahrbahn war trocken und sandig, jedes vorbeifahrende Auto wirbelte eine Staubwolke auf. U Ba blieb plötzlich stehen, hielt sich an mir fest und begann mitten auf der Straße zu husten. Maung Tun griff ihm unter einen Arm und brachte uns sicher auf die andere Straßenseite.
Im Teehaus zündete sich Maung Tun eine Zigarette an, nahm zwei tiefe Züge, wandte sich mir zu und sagte etwas.
Ich blickte meinen
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