Herzschlagmelodie - Band 1
stolperte dabei über den Teppich, sodass ich beinahe hingefallen wäre und rannte dann durchs Wohnzimmer. Henrys Eltern schreckten hoch.
„Julie?“, riefen sie, doch ich wollte ihnen nicht antworten. Meine Schuhe blieben zurück und ich rannte barfuß über die Wiese. Ich wollte rennen … so weit und so schnell ich konnte. Doch als ich meine Mutter auf der Terrasse sah, die gerade in den Pool wollte, musste ich mir einen anderen Weg überlegen.
„Julie? Was ist ...“, fragte sie, doch ich lief auch vor ihr weg. Wo war nur das Loch, in das ich mich verkriechen konnte? Wo nur? Ich rannte bis ans andere Ende des Gartens, sprang über die etwa dreißig Zentimeter hohe Mauer, die eigentlich nur Dekoration war und zwängte mich durch die dichten Sträucher, die unser Grundstück vom Wald trennten.
„Julie!“ Ich wusste nicht, wer mich da rief. Ob es meine Mutter oder mein Vater war, oder vielleicht Henry … Was würde denn noch kommen? Es dämmerte bereits und die dichten Blätter ließen nicht viel Licht in den Wald. Meine Füße schmerzten, als ich über den trockenen Boden lief und meine Lunge brannte, da ich so schnell lief, wie mich meine Beine nur tragen konnten.
Früher, als noch alles in Ordnung gewesen war, hatten Henry und ich oft Verstecken und Fangen im Wald gespielt. Es gab hier Hasen und Eichhörnchen und im Bach sogar ein paar kleinere Fische. Wir hatten die Frösche und Kaulquappen beobachtet, Steine gesammelt und Henry hatte mich vor den Libellen beschützt, die mir damals so riesig vorgekommen waren. Einmal waren wir sogar einem Fuchs begegnet, der uns beobachtet hatte und dann eilig davongelaufen war. Dieser Wald weckte in mir so viele schöne Erinnerungen und jetzt war er mein Zufluchtsort.
Ich lief weiter, bis ich den Bach rauschen hörte. Völlig außer Atem ging ich weiter und watete durch das kühle Nass bis auf die andere Seite. Weiter oben, den Hügel hinauf, war die Quelle. Aus ihr sprudelte klares Wasser hervor und schlängelte sich von hier durch den Wald. Ich blieb keuchend dort stehen und sah mir die mit Moos bewachsenen Steine an, die kleinen Zweige, die von den Bäumen wegragten und die Blumen, die aus den Lücken zwischen den Steinen sprossen. Auch wenn das Rauschen laut war, gab es mir doch eine innere Ruhe, die meinen Herzschlag normalisierte. Ich legte meine Hand auf die Brust und konnte meinen Herzschlag fühlen.
Als ich mich umsah, konnte ich niemanden sehen. Weder jemanden, der mir nachgelaufen war, noch einen Hasen oder einen Vogel. Nur das Rauschen des Bachs durchdrang die Stille des Waldes. Nach einer Weile setzte ich mich auf einen Stein und hielt meine Füße ins Wasser. Es war angenehm frisch und ich fühlte mich in meine Kindheit zurückversetzt. Damals war alles noch viel einfacher gewesen. Wenn man älter wurde, gab es nur Probleme. Die Zeit verging und es wurde immer dunkler, aber ich wollte nicht zurück nach Hause. Alle würden mir Fragen stellen und das würde mich nur noch mehr fertig machen.
„Da bist du ja!“, hörte ich meinen Vater schimpfen, der mit einer Taschenlampe herumfuchtelte. Wo kam er denn auf einmal her? „Wir suchen dich schon überall!“, schimpfte er und stapfte wütend auf mich zu.
„Kann man nicht mal fünf Minuten allein sein und die Ruhe des Waldes genießen?“
„Wieso fünf Minuten? Es ist bereits nach zehn, mein liebes Fräulein!“ Oh weh. Wenn er mich so nannte, dann brannte wirklich die Hütte.
„Tut mir leid. Ich bin ja hier, du weißt, wo du mich finden kannst und jetzt lass mich bitte allein.“ Ich drehte mich von ihm weg und betrachtete meine Füße, die noch immer im Wasser waren.
„Nichts da! Du kommst gefälligst mit nach Hause, sofort!“ Er kam auf mich zu, packte mein Handgelenk und zog mich von dem Stein hoch.
„Hey!“, beschwerte ich mich und versuchte, nicht auf den moosbewachsenen Steinen auszurutschen. Die waren ganz schön glitschig.
„Das darf doch echt nicht wahr sein! Es ist gefährlich nachts im Wald! Hier könnte sonst wer lauern und dir was antun!“ Ich stand neben Dad und nahm ihm meine Schuhe ab, die er mitgebracht hatte. „Anziehen und dann Abmarsch, aber dalli!“ Er leuchtete mit der Taschenlampe auf meine Füße, sodass ich etwas sehen konnte.
„Ist ja gut.“ Musste das jetzt sein? Ich war ja kein kleines Kind mehr! Er übertrieb total.
„Das wird noch ein Nachspiel haben. Deine Mutter ist ganz verrückt vor Sorge. Anstatt Bescheid zu geben, wo du hingehst und wann du
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