Herzstoss
Schluck Bier direkt aus der Flasche. »Kommen Sie, Schätzchen. Ganz locker.« Wieder klopfte er auf den Platz neben sich.
Marcy ignorierte seine Einladung, trat ans Fenster neben dem Fernseher und stellte ihr Bier auf dem niedrigen Tisch ab. Sie zog die braun und senffarben gemusterten Vorhänge auf und starrte auf das Haus gegenüber. Es sah so verlassen aus wie das Mulcahy’s, dachte sie und konzentrierte sich auf das Muster des Vorhangs, um ihre aufkeimende Panik zu unterdrücken. Was hatte sie getan? Wie dumm konnte man sein? »Das ist nicht das Haus Ihrer Mutter?«, fragte sie, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte, jedes Wort einzeln betonend.
Er lachte. »Ich schätze, da haben Sie mich erwischt.«
»Wessen Haus ist es?«
»Meins«, gab er einfältig zu wie ein kleiner Junge, den man mit der Hand in der Keksdose erwischt hatte.
Erst jetzt fiel Marcy ein silbern gerahmtes Foto neben ihrer unangerührten Bierflasche auf. Darauf legte eine attraktive Frau mittleren Alters mit einem kantigen Kinn und kurzem braunem Haar ihre Arme um zwei Jungen, die beide Kierans schuldbewusstes Grinsen im Gesicht trugen. »Ich nehme an, das sind Ihre Frau und Ihre Söhne.«
»Charles und Walter«, sagte er leichthin. Wenn ihm die Situation peinlich war, ließ er es sich nicht anmerken. »Setzen Sie sich, Schätzchen«, drängte er noch einmal.
»Wo sind sie?«
»Sie machen für eine Woche Urlaub in Kilkenny.«
Marcy atmete tief aus. »Und gibt es wirklich eine Mrs. Crocker, die gegenüber wohnt?«
Kieran stand auf und kam mit zwei Riesenschritten auf sie zu. »Natürlich gibt es eine Mrs. Crocker. Und sie ist eine reizende und verständnisvolle Frau. Das muss sie wohl sein, denn sie ist mit meinem Freund Stanley verheiratet. Sie ist in Kilkenny mit meiner Frau. Stanley und ich fahren in ein paar Tagen nach.«
»Stanley war der Mann an der Bar«, stellte Marcy fest.
Kieran lachte. »An manchen Abenden hat er Glück, an manchen Abenden ich.«
»Und Audrey?«, fragte Marcy, obwohl sie die Antwort schon wusste. Sie musste die Worte laut hören.
»Kann nicht behaupten, dass ich schon mal das Vergnügen hatte.« Kieran streckte die Hand aus und strich über ihren Arm.
»Sie haben gesagt, Sie kennen sie. Wieso haben Sie das getan?«
»Weil es das war, was Sie hören wollten, Schätzchen, oder nicht? Und ein Mann sollte einer Frau immer sagen, was sie hören will.«
»Das Ganze war also bloß ein Trick, um mich hierherzulocken.«
Statt zu antworten, drückte er ihr einen Kuss auf den Hals.
»Sie haben meine Tochter gar nicht auf dem Foto erkannt.«
Seine Lippen wanderten weiter bis zu ihrem Mundwinkel, seine Hände tasteten nach ihren Brüsten.
»Das ist für Sie alles nur ein großes Spiel.«
»Ach, komm schon, Schätzchen. Du sahst aus, als könntest du ein bisschen Spaß vertragen.« Eine Hand griff unter ihren Pullover, die andere rutschte auf ihren Po.
Im nächsten Moment schlug Marcy ihm die volle Bierflasche auf den Kopf.
Kieran taumelte rückwärts, aus einer Platzwunde an der Seite seines Kopfes tropfte Blut. »Was zum …?«
Marcy starrte auf die zerbrochene Flasche in ihrer Hand, konnte sich jedoch nicht erinnern, sie ergriffen zu haben. Bier tropfte über Kierans Gesicht und vermischte sich mit dem Blut an seinem Haaransatz. »Ich schwöre, wenn Sie mich noch einmal anrühren, bring ich Sie um«, hörte Marcy jemanden sagen und erkannte die Stimme schaudernd als ihre eigene.
»Bist du verrückt? Was – denkst du, ich will dich zwingen? Muss ich dich daran erinnern, dass du freiwillig mitgekommen bist? Scheiße, ich blute den ganzen verdammten Teppich voll.«
»Ich will nach Hause.«
»Da ist die Tür, du verrückte Hexe.«
»Wie soll ich denn zurück in die Stadt kommen?«
»Warum nimmst du nicht deinen Besen? Scheiße, meine Frau flippt aus, wenn sie die Sauerei sieht.«
Marcy stürzte zur Haustür, riss sie auf und flüchtete, begleitet von weiteren empörten Flüchen, die gewundene, regennasse Straße hinunter. Als mehr als eine Stunde später endlich die scharfen Umrisse des St. Patrick’s Hill vor ihr auftauchten, hörte sie, wie neben ihr ein Wagen hielt. Eine Tür wurde geöffnet und versperrte ihr den Weg. Ein Mann stieg aus und hinderte sie mit fester Hand daran weiterzugehen.
»Verzeihen Sie, Ma’am«, sagte der uniformierte Polizist. »Ich denke, Sie kommen besser mit mir.«
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
Es war fast elf, als Marcy zurück in der Innenstadt war. Sie war
Weitere Kostenlose Bücher