Herzstück mit Sahne: Roman (German Edition)
sie wiedergeboren wird, und Frankie behauptet, das Leben sei nichts anderes als chemische Reaktionen. Wer von ihnen hat recht? Gibt es wirklich ein Muster, das allem zugrunde liegt? Ist das Leben wie ein Wandteppich, und ich bin nur so verwirrt, weil ich auf die Rückseite mit all den verworrenen Fäden und Knoten schaue anstatt auf das vollständige Bild?
Das Problem ist, dass ich eine Vollniete bin, was Handarbeiten angeht.
Ich trinke einen Schluck Kaffee, aber er schmeckt nach nichts. Wie auch das Essen, das Mads mir vorsetzt. Es kommt mir vor, als gäbe es keine Farben und keine Freude mehr. Ich habe binnen weniger Augenblicke die beiden Menschen verloren, die ich am meisten geliebt habe. Und ohne sie ist meine Welt dunkel und leer.
Sechs Tage sind vergangen seit Jewells Party, und ich stehe noch immer unter Schock. Alles ist verschwommen wie in einem Traum und kommt mir unwirklich vor – von den magischen Momenten mit Ollie im Garten über James’ Erpressung bis zu Gabriels idiotischer Verkündigung.
Dabei sind James’ Drohungen leider vollkommen real, denn ich kriege sie beständig am Telefon zu hören. Er ist der festen Überzeugung, dass Jewell mir ihr gesamtes Vermögen vererbt hat, und wenn ich nicht bald zahle, wird er an die Öffentlichkeit gehen. Gabriel mag nicht gerade meine Lieblingsperson unter der Sonne sein, aber ich habe nicht die Absicht, seine Karriere zu zerstören. Offenbar hat doch irgendwas von dem Karma-Gerede, das ich mir immer von meinen Eltern anhören musste, auf mich abgefärbt, was ich ziemlich beunruhigend finde. Sollte ich irgendwann anfangen, Linseneintopf zu kochen, ist Vorsicht angesagt.
Ich fördere aus der Tasche meiner Patchwork-Jacke ein Papiertaschentuch zutage, das schon ganz zerfetzt ist und sich wahrscheinlich gleich auflösen wird. So wie ich vermutlich auch.
Ich tupfe mir damit die Augen ab und sage mir, dass Jewell meine Heulerei gar nicht gut finden würde. Über die Jahre hat sie mir wahrlich oft genug die Tränen getrocknet. Und ich wünschte mir so sehr, sie wäre jetzt bei mir, denn ich muss unbedingt mit ihr reden. Ollie ist unauffindbar. Ich habe ihm Textnachrichten geschrieben, bis mein Finger wund war und mir einfiel, dass Nina sein Handy eingesackt hat. Er ist irgendwo weit weg, ganz allein und in dem Glauben, dass ich Geld und Ruhm seiner Liebe vorgezogen habe. Es ist absolut unerträglich. Sobald ich im Bett liege und die Augen zumache, erlebe ich den Partyabend aufs Neue, immer und immer wieder, wie einen schrecklichen Film. Ich sehe mich auf die Straße rausrennen, Minuten zu spät, als nur noch der Geruch von Abgasen und ein Ölfleck davon zeugen, dass Ollies Wohnmobil dort gestanden hat. Ich spüre den Asphalt unter meinen Knien und wache an den Tränen auf, die mir übers Gesicht laufen. Wenn das so weitergeht, muss ich mir Anteile von Kleenex kaufen.
Niemand weiß, wo Ollie hingefahren ist, aber ich kann mir denken, dass er sich so weit wie irgend möglich von mir entfernen will.
In den Augen der Welt bin ich noch immer Gabriels Partnerin, aber sobald ich die Sache mit James irgendwie geregelt habe, werde ich für Klarheit sorgen. Gabriel hat sich in den letzten Tagen übrigens ziemlich verändert. Ich vermute mal, er hat Schuldgefühle. Er hat keine Interviews gegeben und sogar die Teilnahme an einer wichtigen Talkshow abgesagt. Und sich häufig mit Seb eingeschlossen, was sicherlich etwas zu bedeuten hat.
Frankie, der Gute, hat Wort gehalten. Keine Lügen und kein Betrug mehr. Er reagiert nicht auf Gabriels Anrufe, die sich auf etwa zehn pro Stunde belaufen, und schreibt indessen todtraurige Songs.
Ich vermute zumindest, dass sie todtraurig sind. Wenn ich sie mir anhöre, geht es mir nämlich hundsmiserabel.
Frankie ist jedenfalls furchtbar unglücklich. Er hat die letzten sechs Tage in Maddys zweitem Gästezimmer verbracht und kommt nur raus, um zu duschen oder sich einen Drink zu holen. All seine exzentrische Überdrehtheit und Spitzzüngigkeit sind verschwunden; er schleicht durchs Pfarrhaus wie ein verheulter Schatten seiner selbst. Seit Tagen hat er sich nicht mehr an meinem Schminkzeug vergriffen. Er scheint Gabriel wirklich zu lieben.
Ich kann es mir nicht erlauben, mich nur mit meinem eigenen gebrochenen Herzen zu beschäftigen, weil ich die Bestattung organisieren und mich um Frankie kümmern muss. Außerdem verfügt die arme Mads auch nicht über unbegrenzte Vorräte an Mitgefühl und Earl Grey. Deshalb spare ich mir meine
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