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Hesmats Flucht

Titel: Hesmats Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Boehmer
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er mit Hanif bekommen hatte.
    Hesmat hatte kein Zeitgefühl, und einmal mehr kochte der Zorn in ihm hoch, wenn er an den Polizisten dachte, der ihm seine Uhr abgenommen hatte. Fahid saß wahrscheinlich schon längst wieder im Abteil und fragte sich, wo Hesmat blieb.
    Dann sah er durch das Loch, dass die Reisenden unter ihm in Bewegung gerieten. Sie suchten ihre Sachen zusammen, packten ihre Dinge um, Papiere wurden auseinandergefaltet und kontrolliert. Die Leute waren sichtlich nervös, als der Zug langsamer wurde. Sofort kam auch bei Hesmat die Angst zurück, und sein Herz raste in seiner Brust, als er ein paar Wortfetzen von dem verstand, was die Menschen unter ihm in Aufregung versetzte.
    »Usbekistan, da vorne kommt die Grenze. Die Polizisten kommen.«
    »Raus, alles raus!«
    Unter ihm wirbelten Menschen durcheinander, Pakete fielen um, Männer stiegen über Alte, die sich nicht schnell genug aufrappeln
konnten, und immer wieder hörte er die Befehle der fremden Stimmen. Sie kamen näher.
    »Alles raus! Kontrolle! Stellt euch alle neben dem Zug auf. Raus jetzt, schnell! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!«
    Hesmat sah die Mütze des Polizisten direkt unter dem Loch. Sie war zum Greifen nahe. Er roch sogar den Schweiß des Mannes.
    Wahrscheinlich war die schmutzige, ölige Brühe unter seinem Bauch längst durch die Luftlöcher gelaufen und tropfte gerade auf die Schulter des Polizisten. Hesmat hielt den Atem an. Er war überzeugt davon, dass der Polizist unter ihm den Luftzug seines Atems spüren konnte, aber der Mann ging weiter, ohne einen Blick nach oben zu werfen. Hesmat traute sich wieder zu atmen.
    Als alle Reisenden den Zug verlassen hatten, kamen jedoch die Hunde. Zuerst erkannte er das Geräusch nicht, aber als das Kratzen und Klappern der Krallen auf dem blanken Boden näher kam, wusste er, dass sie ihn wieder erwischen würden. Noch bevor er sie sah, hörte er ihr gieriges Hecheln. Da fingen die Hunde schon an zu bellen, und er spürte einen Luftzug und sah das Licht, das in den Schacht fiel.
    Der Schmutz des Schachts klebte an seinem verschwitzen Körper wie Leim, die Haare waren verschmiert und verdreckt, als wäre er gerade über den Hindukusch gekommen. Als er wieder zu sich kam, blutete sein Ellbogen, und seine neue Hose war an einem Knie aufgerissen.
    Er erinnerte sich, dass sie ihn brutal und ohne Rücksicht an den Beinen aus dem Schacht gezogen hatten und er praktisch von der Decke auf den Boden gekracht war. Er hatte sich mit den Armen abfangen wollen, hatte aber keine Chance gehabt und war sofort bewusstlos gewesen. Als er sich jetzt aufrichtete,
sah er Fahid. Auch er hatte kein Glück gehabt. Er starrte Hesmat an, als wäre ein Geist vor seinen Augen erschienen.
    Als Hesmat etwas sagen wollte, bekam er sofort die erste Ohrfeige. Sie drehten ihm den Arm auf den Rücken, bis er aufschrie, und stießen ihn vor sich her durch den Zug, hinaus zu den anderen Wartenden.
    Die Männer und Frauen fluchten. »Wegen euch Scheißkerlen stehen wir jetzt hier«, rief eine Frau und spie vor ihnen auf den Boden.
    Die helle Sonne schmerzte in seinen Augen, und, angetrieben von den Männern, stolperte er durch den Staub in die Station. Erst als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, ließen sie ihn los. Seine Arme schmerzten, Blut rann über seinen Unterarm, während Fahid und er wortlos am vergitterten Zellenfenster standen und die Kontrolle beobachteten. Schließlich warfen die Polizisten noch vier Männer in die Zelle, bevor der Zug sich nach einer Verzögerung von drei Stunden ohne sie Richtung Moskau in Bewegung setzte.
    Es war das erste Mal, dass Fahid wirklich wütend auf ihn war. »Du bist so ein Idiot!«, schimpfte er. »Weißt du, in was für eine Scheiße du uns geritten hast? Sie werden die Namen überprüfen und gleich wissen, dass sie uns schon einmal erwischt haben.«
    Hesmat verteidigte sich nicht, er wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte. Als der Polizist ihn nach seinem Namen gefragt hatte, war ihm nichts Besseres eingefallen, als den Namen anzugeben, der in dem falschen Pass gestanden hatte, der ihnen schon vor drei Wochen bei ihrer ersten Festnahme abgenommen worden war.
    »Du Idiot!«, schrie Fahid.
    Die anderen Männer in der Zelle lachten.

    »Ihr habt wohl nicht genug bezahlt«, sagte einer.
    Fahids Augen waren voller Zorn, was die Männer noch mehr amüsierte.
    »Komm, Kleiner«, sagte einer, »komm und ich brech dir den Hals.«
    »Es ist doch klar, oder?«, fuhr ein anderer

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