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Hesmats Flucht

Titel: Hesmats Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Boehmer
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einiger Zeit verstanden sie, dass ihn die Wärter so nachsichtig behandelten, weil er auch für sie kochte. Er trug ständig dasselbe verschwitzte Unterhemd und hatte sich wohl seit dem Tag, an dem er hier angekommen war, nicht mehr gewaschen.
    »Im Vergleich zu ihm riechst du wie ein Baby«, spottete Fahid. »Ich wette, er wäscht sich die Hände in unserer Suppe.«
    Das einzig Saubere an ihm war seine weiße Kochmütze, die täglich gewaschen wurde, und sein einziger Spaß bestand darin, Fahid und Hesmat zu schikanieren. Er kam aus der Küche, beobachtete die beiden lange und genussvoll aus dem Schatten, wie sie schrubbten, und schlich um sie herum wie eine Katze um ihr Opfer. Dann bückte er sich und strich mit dem Finger über den Boden. »Was ist das?«, fragte er und hielt ihnen seinen Finger unter die Nasen.
    »Was mischst du dich ein! Siehst du nicht, dass der Wind ständig Sand hier hereinträgt?«, sagte Fahid am ersten Tag ärgerlich. »Kümmere dich um deine Angelegenheiten.«
    Der Koch lachte nur. »Ihr wisst nicht, wer ich bin, oder?« Dann nahm er seine weiße Mütze und schleuderte sie quer über den Platz. Mit ein paar Schritten hatte er sie eingeholt und hob sie vorsichtig wie einen Schatz auf und präsentierte sie den beiden lachend. »Solange der Platz nicht so sauber ist, dass meine Mütze weiß bleibt, werdet ihr dafür büßen.«
    Dann gab er Fahid eine Ohrfeige, die ihn von den Füßen riss. Der Knall hallte über den ganzen Platz. Hesmat wartete darauf, dass einer der Aufseher aus dem Schatten springen würde, aber nichts passierte. Jeden Tag kam der Koch mindestens zweimal. Nie war es ihm sauber genug. Jedes Mal musste einer von ihnen dafür herhalten. Hesmats Wange war die meiste Zeit angeschwollen wie eine reife Frucht.

    Nach zwei Wochen hatte sich Fahid mit einigen der Männer in den Zellen angefreundet.
    »Die meisten sind Usbeken oder Tadschiken«, erzählte er. »Sie sitzen wegen Mord oder Entführungen. Ein paar sind hier, weil sie Drogen geschmuggelt und die falschen Polizisten bestochen haben.«
    Hesmat erfuhr, dass der Polizist, der sie beide an der Grenze aus dem Zug geholt hatte, kein Unbekannter in diesem Gefängnis war. Die Häftlinge erklärten, dass er selbst einen der größten Schmuggelringe aufgebaut hatte und praktisch den ganzen Drogenfluss von Heiratan nach Termez kontrollierte.
    »Wer ihm in die Quere kommt und nicht genug bezahlt, landet hier«, erzählte Fahid Hesmat.
    Die harte Arbeit, das schlechte Essen und die Hitze setzten den beiden bald zu. Schon nach einer Woche litten sie an schwerem Durchfall. Das Trinkwasser war meist nur eine braune Brühe, und nirgends gab es eine Möglichkeit, es abzukochen. Aber die Hitze und der Durst waren unerträglich. Mit schwindeligem Kopf und zittrigen Knien schrubbten sie weiter den riesigen Platz, kassierten ihre Ohrfeigen vom Koch und wurden unter der täglichen Schinderei, dem Durchfall und dem schlechten Essen schnell schwächer. Nach vier Wochen sahen sie aus wie lebende Skelette.
    »Du bist ja nur noch ein abgenagter Knochen«, lachte Fahid müde und mit aufgesprungenen Lippen.
    »Das hat mein Vater früher auch immer gesagt«, antwortete Hesmat und erinnerte sich an die Stimmen seiner Eltern. »Du bist so spindeldürr«, pflegte seine Mutter zu sagen und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Was werden nur die anderen Eltern sagen! Sie werden glauben, ich lasse dich hungern!«
    »Er sieht aus wie ein abgenagter Knochen«, kam von seinem
Vater, wenn er von seinen Einsätzen an der Front zurückkehrte und seinen Sohn auf den Arm nahm.
    Sein Großvater nannte ihn nur einen kleinen Teufel, die Tanten ein verzogenes Muttersöhnchen, seine Mutter sagte zu ihm: mein kleiner Engel.
    Dann bekam Fahid auch noch Fieber. Wütend trommelte Hesmat gegen die Tür der Zelle und verlangte nach einem Arzt. Die Wärter lachten, brachten ihnen aber wenigstens etwas sauberes Wasser. Tagelang bettelten sie um etwas Ruhe, aber Tag für Tag wurden sie wieder auf den Platz hinausgejagt.
    Als sie Bachtabat sahen, dachten sie zuerst, es sei ein Traum. Zwei Augenpaare konnten sich jedoch nicht täuschen. Da hatte er gestanden und mit einem der Gefängnisaufseher geredet. Es tat gut, ein bekanntes Gesicht zu sehen, auch wenn es das Gesicht des unfähigen Schleppers war, der ihnen das alles eingebrockt hatte. 200 Dollar. Mehr waren sie beide nicht wert. Bachtabat hatte gar nicht lange verhandeln müssen.
    Hesmat legte seinen ganzen Zorn in

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