Hesmats Flucht
Probleme bekommen!«
»Wenn sie uns noch einmal schnappen, gehen wir zurück. Hanif wird sich freuen, sich das Geld von dir zurückzuholen.«
»Keine Angst, keine Angst!« Bachtabat wurde sichtlich nervös. »Es war nicht meine Schuld! Ihr wisst, ich bin unschuldig. Großer Gott, was habe ich mir mit den Jungen aufgehalst. Ich will euch doch nur helfen.«
»Dann bring uns endlich nach Moskau!«, forderte Fahid.
Der erste Zug seit Wochen war schon in Termez völlig überbelegt. Es dauerte eine ganze Stunde, bis sich die Streitereien um den nicht vorhandenen Platz endlich gelegt hatten und die Lokomotive losstampfte. Einige Menschen saßen sogar auf dem Dach und sahen aus wie Raben. Der Fahrtwind blies ihnen die Rauchschwaden der Lokomotive ins Gesicht. Nur wenn sie die Augen öffneten, sah man zwei helle Punkte. Der Rest von ihnen war schwarz wie die Nacht.
Wieder gab es einen neuen Schaffner. Er versteckte die beiden in seinem Abteil. »Je weniger euch sehen, desto besser«, erklärte er, schloss die Tür von außen und verschwand.
»Ich hoffe, ich sehe euch nie wieder«, hatte Bachtabat zum Abschied gesagt.
»Wir schreiben dir eine Karte aus Frankreich«, lachte Fahid.
Schon nach einer Stunde hatte Fahid zu weinen begonnen. Dann hatte er um sich geschlagen und Hesmat hatte ihn nur mit Mühe beruhigen können.
»Ich halte das nicht aus«, flüsterte Fahid. »Ich ersticke hier!« Er hustete. »Gib mir zu trinken.« Er verschüttete die Hälfte.
Der Zug fuhr immer noch. Der Schaffner hatte sie viel zu früh versteckt. Die Kontrolle würde ein paar Stunden dauern und niemand konnte es so lange in dem engen und heißen Loch unter dem Zugdach aushalten.
Endlich hielt der Zug. Die Luft im Versteck wurde unerträglich. Schon nach ein paar Minuten waren sie vollkommen durchgeschwitzt. Das Wasser war bald zu Ende. Die Hitze, die das glühende Zugdach in den Zwischenraum abgab, brannte auf ihren Rücken, und bei jeder Berührung schrie einer der beiden leise auf. Sie lagen wie Tote in der engen Röhre und durch die wenigen kleinen Löcher kam nicht genug Luft für zwei. Das Atmen wurde immer schwerer. Hesmat wurde schwindlig. Fahid hatte sich übergeben. Er lag mit dem Oberkörper in seinem eigenen Erbrochenen und starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen wortlos an.
»Wisch es von den Löchern weg«, sagte Hesmat. »Wenn es nach unten tropft, werden sie uns sofort finden.«
Als Hesmat die Polizisten unter sich sah, pochte sein Herz gegen das Metall, auf dem er lag. Hesmat wusste, was kommen würde. Er wartete nur darauf, wieder die Hände an seinen Füßen zu spüren; den Ruck, wenn sie ihn rückwärts aus der Röhre zogen; die Schläge, die er bekommen würde; das Loch, in das sie ihn stecken würden. Sein Gürtel wäre alles, was ihn am Leben erhalten würde, außer sie würden ihn umbringen,
um keine Spuren zu hinterlassen. Zum ersten Mal seit Langem betete er.
Die Männer unter ihnen blickten sich um. Er schloss die Augen, als er hörte, wie sie den Zug verließen.
Die Leute starrten sie an wie Außerirdische.
»Ihr verdammtes Pack«, fluchte einer, während der Schaffner sie zurück in sein Abteil schob.
»Haltet das Maul!«, schrie er die Umstehenden an.
»Wegen diesen Scheißkerlen filzen sie uns bis aufs Letzte«, fluchte eine Alte.
»Dann sag das deinen Brüdern mit den Drogen in den Taschen!«, schimpfte der Schaffner zurück.
Fahid war mehr tot als lebendig. Hesmat half ihm, sich auf den Boden des Abteils zu legen, und bettete Fahids Kopf in seinen Schoß. Mit einer alten Zeitung fächerte er ihm Luft zu.
Als der Schaffner sie wieder holte, waren beide eingeschlafen.
»Ich kann nicht mehr«, sagte Fahid. »Lass mich hier liegen. Ich kann nicht mehr in das Loch.«
Sie versteckten ihn in einer Zwischenwand zwischen dem Schaffnerabteil und dem Wagenende.
»Wie bekommt er dort Luft?«, fragte Hesmat.
»Es gibt Schlitze«, sagte der Schaffner und drückte das Brett zurück in die Wand und schob seinen schweren Stuhl davor. Das Letzte, was Hesmat von seinem Freund gesehen hatte, waren die weit aufgerissenen Augen, die sagten: »Hesmat, ich halte das nicht aus.« Warum hatte er ihm nicht geholfen, warum hatte er die Angst nicht gehört, wollte sie nicht verstehen? Wie oft hatte Fahid ihm gesagt, dass er es nicht schaffen würde, und trotzdem hatte er dem Schaffner geholfen, das Brett vor das Versteck zu drücken. Aber es gab keine andere Möglichkeit,
und er vertraute auf das, was er von seinem
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