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Hesmats Flucht

Titel: Hesmats Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Boehmer
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Kosten die Mägen voll und wir haben nichts zu fressen. Es ist eine Schande.«
    Wieder ging es zu Fuß weiter. Hesmat war vollkommen ausgepumpt und musste sich übergeben. Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr. Es war wie ein böser Geist, der sich in seinen Kopf eingeschlichen hatte und ihn malträtierte. So lange, bis sein Körper streikte. »Ich kann nicht mehr«, sagte er endlich laut.
    »Reiß dich zusammen! Geh weiter«, schimpfte sein Onkel.
    »Du hast leicht reden!«, schrie Hesmat zurück. »Du hast keine
Ahnung, wovon du sprichst! Du bist erst seit einem Monat unterwegs und hast bis vorgestern keinen Meter zu Fuß zurückgelegt! Sag nicht zu mir: ›Reiß dich zusammen.‹ Wenn ich sage, ich kann nicht mehr, dann kann ich nicht mehr!«
    Zwei Frauen hörten sein Schreien. »Wir können auch nicht weiter. Kommt, Kinder, setzt euch zu uns. Wir bleiben hier.«
    Die Schlepper umkreisten die Gruppe. Es entstand ein Augenblick angespannter Stille, in dem alle Seiten überlegten.
    Ein Mann vermittelte schließlich. »Lasst sie doch! Gebt ihnen eine Pause. Sie können nicht mehr. Wir alle können nicht mehr! Wir brauchen etwas zu essen. Wir müssen schlafen. In Allahs Namen, habt Erbarmen mit uns!«
    Die Schlepper berieten und beschlossen, drei Stunden gemeinsam auszuruhen.
    »Was ist mit Essen?«, trauten die Flüchtlinge sich zu fragen.
    »Soll ich zaubern?«, meinte einer der Schlepper. »Ihr seht doch, dass wir selbst nichts haben.«
    »Ja, weil ihr alles gestern Abend gefressen habt«, schimpfte eine Frau. »Warum quält ihr uns so?«
    Ein Schlepper wurde wütend. Er stützte sich auf sein Gewehr und stand drohend auf. »Was glaubst du eigentlich, Frau?«, schrie er. »Ihr seid es doch, die es nicht mehr zu Hause aushaltet. Glaubt ihr vielleicht, dass euch irgendjemand da drüben haben will?«
    Zwei andere Schlepper versuchten, ihn zu beruhigen. Er stieß sie zurück.
    »Niemand will euch, ihr habt nichts, ihr seid nichts wert. Ihr haltet es zu Hause nicht mehr aus und hofft, dass wir euch durchfüttern. Vergesst es!« Sein Kopf war rot angelaufen, und er schnappte nach Luft, während er weitere Worte ausspuckte. »Ihr sagt zu uns, wir sollen euch nicht so quälen? Gut! Gut,
dann kehren wir um. Los, auf mit euch, wir bringen euch gerne zurück. Verschwindet dorthin, woher ihr gekommen seid. Ich brauche euch nicht. Im Westen brauchen sie euch auch nicht. Wir können gehen. Los, los, auf mit euch, ihr Scheißpack!«
    »Aber wir haben dafür bezahlt«, sagte einer der Männer matt, der sich neben Hesmat gesetzt hatte.
    »Bezahlt?«, rief ein anderer Schlepper, der jetzt ebenfalls genug zu haben schien. »Ihr habt bezahlt? Was glaubt ihr, was ihr bezahlt habt? Wisst ihr, wie viel ihr uns schon gekostet habt? Die Unterbringung, die Lastwagen, das Essen im Versteck? Kommt uns nicht mit: ›Wir haben doch bezahlt‹! Ihr habt keine Reise gebucht, ihr seid auf der Flucht, und wenn ihr jetzt Essen wollt, dann bitte. Gebt mir Geld, und ich werde euch das Beste besorgen, was es gibt. Alles kein Problem. Aber solange ihr hier herumsitzt, kommen wir keinen Meter weiter. Es wird genug Essen für euch alle geben, aber nicht hier. Ihr habt zwei Tage nichts gegessen, und ihr glaubt, ihr verhungert? Euch muss es ja zu Hause verdammt gut gegangen sein. Ich wundere mich nur, warum ihr dann weglauft. Essen?«, schimpfte er. »Glaubt ihr, ihr habt keine anderen Probleme?«
    Die Schlepper schüttelten die Köpfe und drehten sich von der sitzenden Gruppe weg.
    »Los!«, sagten sie. »Wenn ihr Hunger habt, dann geht weiter. Morgen gibt es zu essen.«
    Der Widerstand war gebrochen und einige der Flüchtlinge nickten sogar zustimmend. »Sie haben recht, wir müssen weiter. Kommt, lasst uns gehen, hier wird es nicht besser.«
    Wortlos und unter Stöhnen erhob sich die Gruppe. Sie stellten sich wieder auf die wunden Füße. Die Aussicht auf Essen am nächsten Tag ließ sie die Schmerzen kurzzeitig vergessen.
    Die Mütter hatten jetzt wieder etwas, womit sie ihre Kinder
weiterlocken konnten. »Ja, mein Kleiner, morgen. Morgen gibt’s was zu essen. Jetzt sei ruhig und geh, denk nicht an deinen Hunger, morgen ist alles vorbei«, logen sie.
    Aber die Kräfte ließen schnell wieder nach. Die Männer hoben die schwächsten Kinder auf die Schultern und stolperten hinter den Schleppern her. Hesmat und sein Onkel nahmen eines der Kinder zwischen sich, zogen und schoben es Schritt für Schritt weiter, während die weinende

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