Rosenthal.
Der Vater beendete sein Studium und bekam einen Job in einem kleinen Ingenieurbüro. Er hätte viel mehr Geld verdienen können, dafür hätte er aber auf Baustellen im Ausland arbeiten müssen. Er wollte Pia jedoch nicht alleine lassen, und so verpasste er zwar die große Karriere, konnte für Pia aber ein Zuhause schaffen. Sie waren ein eingespieltes Team mit einer großen gemeinsamen Leidenschaft: Fußball.
Was wird er sagen, wenn sie ihm von dem Casting erzählt?
Am nächsten Morgen trödelt Pia lange im Badezimmer herum. Sie hofft, dass der Vater schon zur Arbeit gefahren ist. Aber er sitzt noch gemütlich am Frühstückstisch und strahlt sie an.
»Wie war es gestern beim Training?«
Pia zögert. Soll sie ihm sagen, dass sie geschwänzt hat, nicht nur die sechste Stunde Französisch, sondern auch das gesamte Fußballtraining? Sie hat ihn noch nie angelogen. »Ich war nicht da.«
Der Vater schaut sie besorgt an. »Warst du krank? Geht es dir heute besser?«
Pia schüttelt den Kopf.
»Ach so, es ist ausgefallen. Ist Frau Rosenthal krank?«
Frau Rosenthal ist die Trainerin der Mannschaft und eigentlich nie krank.
Wieder schüttelt Pia den Kopf und sucht fieberhaft nach den richtigen Worten. Aber die gibt es wohl nicht. Alles, was sie sagen wird, wird ihn wütend oder, noch schlimmer, traurig machen. Vielleicht hätte sie doch besser lügen sollen. Aber nun ist es zu spät dafür. Sie seufzt, holt tief Luft und sagt: »Ich war gestern Nachmittag auf einer Fashion Show.«
Er sieht sie entsetzt an: »Fashion Show? Du warst auf einer Fashion Show?«
»Cleos Mutter hat mich eingeladen. Cleo hat es sich zum Geburtstag gewünscht.«
»Und dafür hast du das Training geschwänzt?«
»Ich dachte, ich schaffe es rechtzeitig.« Das war nun doch eine Lüge. Aber sie kann ihm nicht auch noch erzählen, dass sie Zeit genug gehabt hätte, aber keine Lust. »Und ich bin sogar gelaufen.«
»Wie, ›gelaufen‹?«
»Auf dem Laufsteg, als Model.«
» DU warst auf dem Laufsteg? Ich dachte, wir beide hätten genug von dem Modelkram. Pia, was ist los mit dir? Ich will das nicht! Lass die Finger davon.«
Sie lässt ihn ausreden, dann sagt sie ganz leise: »Es war doch auch schön, Papá. Sie war wunderschön …«
Sie hat vergeblich versucht, ihre Eltern. Eine wunderschöne Frau. Bis …«
Pia hasst den Satz, der nach dem »bis« kommt. Sie schließt die Augen. Der Laufsteg, das Blitzlichtgewitter der Modefotografen und mittendrin eine wunderschöne Frau. Ihre Mutter.
»Ihr Kleid, weißt du noch?«
Knisternde Seide. Ein Traum in Gelb und darüber ihr Kopf mit den roten Locken. Dann zerreißt der Film. Ein schwarzes Loch, in das der Sarg herabgelassen wird. Schwarz wie die Kleidung der Menschen auf dem Friedhof.
»Pia, wach auf! Wir waren uns doch einig, dass wir das Thema Modeschau für immer vergessen.«
Ja, da waren sie sich einig gewesen. Aber das war gestern. Von dem Casting erzählt sie ihm an diesem Morgen nichts. Sie stürzt ihren Cappuccino hinunter, nimmt sich ein Croissant und macht sich auf den Weg zur Schule, wo schon der nächste Ärger auf sie wartet.
»Meine Mutter hat meinem Vater natürlich beim Abendessen von deinem Schwänzen erzählt. Und der wird das bestimmt nicht für sich behalten«, erzählt Cleo ihr auf dem Schulhof.
»Petze!« Pia hatte gehofft, Frau Bergmann würde schweigen, weil sie doch am Nachmittag so freundlich zu ihr gewesen war.
>Pia grinst Cleo an, als sie sich neben sie auf ihren Platz setzt.
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