Heute morgen und fuer immer - Roman
Lampions zwischen den kahlen Bäumen. Auf dem Platz, der im Sommer von grünen Bäumen und Schachspielern gesäumt wurde, stand ein Holzstand am anderen. Im Gegensatz zu vielen anderen Märkten, wo es eher ums Trinken ging und viel Kitsch angeboten wurde, zeichnete der Schwabinger Weihnachtsmarkt sich durch seine vielen Kunsthandwerks- und Essensstände aus. Unser Treffpunkt war am Mistelstand, ein Stand, der jedes Jahr Adventskränze und Mistelzweige anbot und umrundet war von sich küssenden Menschen, schließlich verpflichtete die Mistel ja zum Küssen, und wer wollte sich schon gegen weihnachtliche Traditionen sperren ... In der Menge sah ich Professor Bruckner mit einer dunklen Pelzmütze, die über beide Ohren ging, im Gespräch mit anderen Kollegen und Studenten vertieft. Professor Wiese, Amelies Mentorin, stand ebenfalls mit in der Gruppe und nickte mir zu. Sie war Mitte fünfzig, eine elegante Erscheinung, die stets würdevoll und leicht erhaben daherkam. Ich glaubte nicht, dass sie mich nicht leiden konnte oder ich ihr unsympathisch war, aber Amelie und ihr Background lagen ihr einfach mehr. Ich war mir sicher, dass sie mich als Außenseiterin empfand, die nicht richtig in die gehobene Musikwelt der Klassik reinpasste, und zwar nicht allein wegen meiner roten Haare, die auf der Bühne so gar nicht dezent herausstachen. Evi steuerte mir mit gebrannten Mandeln und Glühwein entgegen. Dankbar nahm ich nach einem anstrengenden Tag wie diesem gleich einen Schluck. Da ich nicht viel im Magen hatte, zeigte der Glühwein schnell seine Wirkung, und bevor ich mich versah, kicherte ich über jeden noch so müden Witz. Ein Traumpublikum gab ich ab, jawohl! Selbst als plötzlich Amelie in Begleitung ihres unsympathischen Verlobten in spe auftauchte, verdarb es mir nicht die Laune. Benedikt Steiniger samt Teiltoupet wusste, wie man sich bei Menschen und Gruppen beliebt machte. Als Politprofi, der er zweifelsohne war, war er mit allen Wassern gewaschen und strahlte deutlich aus, dass man ihn besser nicht zum Feind haben sollte. Trotz des festgetackerten Lächelns kam deutlich durch, dass er ein kontrollierter, kalkulierender Karrierist war. Im Lodenmantel, der ihn volksnäher und bayerntreu wirken lassen sollte, schmiss er eine Runde nach der anderen mit dem, wie er dachte, ach so witzigen Kommentar: »Lokalrunde für alle!« Dabei lachte er kehlig und so unangenehm, dass ich fast Mitleid mit Amelie bekam. Man konnte sagen, was man wollte, aber ein musikalisches Gehör besaß sie, und so ein Lachen ein Leben lang ertragen zu müssen war eine harte Prüfung für eine Musikerin. Mein Mitleid verflog allerdings sehr schnell, als Amelie einen Moment der Stille abwartete und laut vernehmlich für alle das Wort an mich richtete. Betont besorgt sah sie mich an: »Geht es deiner Hand wieder besser? Ich hoffe, du übernimmst dich nicht mit all den Übungen, du weißt, die Gesundheit geht immer vor!«
Dieses gemeine Miststück! Denn natürlich fragten mich sofort alle, was denn mit meiner Hand sei und ob ich das Konzert spielen konnte. Professor Bruckner nahm mich sogar zur Seite und fragte noch einmal mit sorgenvollem Blick nach, ob wirklich alles in Ordnung sei.
»Keine Angst, das ist nur 'ne harmlose Sehnenscheidenentzündung. Ist bald wieder gut!« Und auf seine Nachfrage, ob ich damit beim Arzt gewesen sei, flunkerte ich, weil das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte, war, das Weihnachtskonzert weggenommen zu bekommen. Innerlich belegte ich Amelie mit tausend üblen Flüchen, während sie mir scheinheilig lächelnd zuprostete. Mein einziger Trost war die Vorstellung, wie es wohl sein musste, Benedikt Steiniger durchs gegelte Teiltoupet zu fahren oder seine Reden fürs Schützenfest ertragen zu müssen. Aber in all diese Gedanken mischte sich ein ungutes Gefühl, das immer lauter wurde und mir deutlich zu verstehen gab, dass meine Verdrängungstaktik, was die linke Hand anging, nicht funktionierte. Ich musste wirklich dringend zum Arzt, morgen würde ich Helene anrufen und sie um Rat bitten. Wenn sie als Krankenschwester nicht wusste, an wen ich mich wenden sollte, wer dann? Wenn Helene ebenfalls das Klinikum rechts der Isar empfehlen sollte, würde ich mich dort untersuchen lassen. Da ich eine panische Angst vor Krankenhäusern hatte, hoffte ich, dass Helene jemandn in ihrer Klinik empfehlen konnte, denn sie in der Nähe zu wissen war ein beruhigendes Gefühl. Mit zwei weiteren Bechern Glühwein versuchte ich, die trüben
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