Heute morgen und fuer immer - Roman
konstruierten Filmen, in Wirklichkeit durfte ich das leider noch nie erleben. Aber gut, es gab immer ein erstes Mal, und warum sollte das Gute nicht doch irgendwann siegen?
»Wie lange sind die beiden denn zusammen?«, fragte ich immer noch verwundert.
»Na, schon locker über ein Jahr. Zumindest schwärmt sie seit über einem Jahr von ihrem Alexander, der weder eine Netzhautablösung hat und auch ansonsten ganz normal zu sein scheint.«
Es war geradezu rührend anzusehen: Frau Seliger schmachtete ihren Alexander unentwegt an, hielt mit geschwellter Brust seine Hand und freute sich an den ungläubigen Blicken und heruntergeklappten Kinnladen der anderen. Aber auch Alexander warf ihr verliebte Blicke zu, füllte regelmäßig ihr Glas nach und erzählte, wie ich gerade mit halbem Ohr mitbekam, ihre Kennenlerngeschichte. Frau Seliger sah auf ihre Weise plötzlich attraktiv aus, anscheinend stimmte es, dass Glück einen von innen strahlen ließ. Unauffällig stellte ich mich näher heran, um die Geschichte nicht zu verpassen, dass Frau Seliger und Alexander sich im Englischen Garten beim Chinesischen Turm kennengelernt hatten und seither unzertrennlich waren. Alexander arbeitete als selbstständiger Unternehmer in der IT-Branche. Ich kam mir gemein vor, aber ich wollte einfach nicht begreifen, wie Alexander sich in Frau Seliger verlieben konnte, die auch heute konsequent eine Polyesterkombination aus Riesenmustern trug und sicher schon leicht müffelte. Ihre zu groß geratene grüne Brille, gefühlt aus den Achtzigern, die andere bereits wieder als Fashion Statement trugen, verdeckte ihr Gesicht. Und die Vorstellung, wie man es schaffte, sich mit diesem Gestell auf der Nase zu küssen, blieb mir sowieso ein Rätsel ... Ob Alexander jemals Frau Seligers Augenfarbe gesehen hatte? Die Frisur, die keine war, das verhuschte, stets in sich gekrümmte Wesen, das um Jahre älter aussah, mit dieser Piepsstimme sprach und immer noch Diddl-Mäuse sammelte ... wie ging das mit einem gut aussehenden Mann wie Alexander zusammen? Allein dass wir sie alle immer noch Frau Seliger nannten, obwohl sie gleich alt wie Helene war und ihren Freund sofort alle mit Alexander ansprachen. Lag vielleicht auch daran, dass man bei Alexander nicht das Gefühl hatte, ihn aus einer Zeitkapsel ausgegraben zu haben. Selbst Maxi, der gerade zum ersten Mal in Lisa aus seiner Klasse verknallt war und noch wirklich kein Experte auf dem Gebiet der Liebe, schaute entgeistert.
»Ist die Frau Seliger reich?«, flüsterte er Helene und mir zu, was ernsthafte Zweifel an Helenes Erziehung aufkommen ließ. »Wie kommst du denn darauf?«, empörte sich Helene auch sofort, die sich natürlich nicht nachsagen lassen wollte, Maxi falsche Werte beigebracht zu haben.
»Na, sie ist doch hässlich, und wenn Frauen hässlich sind, können sie nur noch einen Mann bekommen, der fett ist, oder aber sie sind reich!«
Japser hatte Maxis letzten Satz mitbekommen und lachte laut los, was Helene wiederum sehr unangenehm war, sie wollte auf keinen Fall Aufsehen erregen.
»Maxi, Frau Seliger ist eine sehr nette Frau! Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass es auf das Innere und das Herz eines Menschen ankommt. Du liest heute Abend mal wieder den ›Kleinen Prinz‹ und schaust keine ›Verbotene Liebe‹ mehr!«
Jasper klopfte Maxi auf den Rücken und sagte verbrüdernd: »Ich hab genau dasselbe gedacht, Maxi, und deine Mutti und Tante Clara auch. Ich finde, dann sollten wir alle zur Strafe den ›Kleinen Prinz‹ lesen und keine Soaps mehr schauen!«
Helene schaute ihn giftig an, was Jasper nur mit den Schultern zucken ließ.
»Nur weil er die Wahrheit gesagt hat ...«
Wo er recht hatte, hatte er recht. Aber dann sagte Alexander etwas, was mich aufhorchen ließ. Er schwärmte gerade von seiner Susanne. »Sie ist die erste Frau, die mir wirklich zuhört und sich für mich interessiert, ich meine richtig interessiert. Wenn ich sonst von meinem Job in der IT-Branche erzählte, kam immer ein höflich geheucheltes Interesse. Nicht so bei Susanne. Sie fragt nicht nur nach, sondern sie liest sich ein, recherchiert und befasst sich bis in die Tiefe mit dem, was ich mache. Sie will es genau wissen, damit sie mir folgen kann, wenn ich erzähle, warum mich was im Job genervt hat oder woran ich gerade arbeite. Auch meine Hobbys erträgt sie nicht höflich, sondern lebt sie mit. Ich sammle zum Beispiel Versteinerungen und habe mich schon immer für die Geologie interessiert. Susanne ist
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