Heute schon geträumt
die diese Dame trägt, noch ein zweites Mal?«, erkundigt sich eine Frau neben mir.
»Nein, das ist die letzte.« Der Standbesitzer schüttelt den Kopf.
Es ist, als schieße pures Adrenalin durch meine Venen. Ich habe das letzte Exemplar ergattert.Was es natürlich zu einem noch begehrenswerteren Schnäppchen macht!
Ich drücke dem Verkäufer einen Zehner in die Hand und schlage den Weg zurück zum Park ein. Meine Güte, was für ein Kauf, denke ich und kann es mir in meiner Schnäppchen-Euphorie nicht verkneifen, mich in jedem Schaufenster anzusehen. Ob ich noch etwas finde?Vielleicht sollte ich mich ja mal umsehen.
Automatisch fällt mein Blick auf mein Handgelenk, aber natürlich ist die Uhr nicht da, also will ich mein BlackBerry zücken. Aber ich stelle fest, dass ich es im Auto liegen gelassen habe.
Ein kurzer Funke Verärgerung glimmt in mir auf, der jedoch im Nu von etwas anderem verdrängt wird: dem Gefühl von Freiheit, von Ungebundensein. Ich komme mir wie ein Schulmädchen vor, das sich dem Klammergriff der Zeit entwunden hat, so als könne ich für kurze Zeit mein eigenes Leben schwänzen.
Normalerweise würde ich jetzt auf der Stelle kehrtmachen und nach Hause zurückfahren, aber mit einem Mal habe ich es überhaupt nicht mehr eilig - ein höchst ungewöhnliches Gefühl, da Eile sonst mein zweiter Vorname ist. Selbst den Gang auf die Toilette erledige ich im Laufschritt. Aber ohne meine Uhr fühlt es sich an, als verschwimme die Zeit zu einer undefinierbaren Masse, statt in Sekunden, Minuten und Stunden unterteilt zu sein, an die es sich mit akkurater Gehorsamkeit zu halten gilt.
Und so drossle ich mein Tempo und schlendere über den Markt, statt eine Abkürzung zu nehmen, um so schnell wie möglich zu meinem Wagen zurückzukehren. Was gar nicht so leicht ist. Meine Beine sind darauf programmiert, zügig dahinzustreben, doch nun schlendere ich gemächlich und mit locker schwingenden Armen an den Ständen und Straßencafés vorbei. Genieße es, einfach hier zu sein, statt von einem Ziel zum nächsten zu hasten. Ich sauge tief die Luft in meine Lungen, statt wie sonst flach und schnell zu atmen, bleibe stehen und sehe mich um. Ich lächle.
Zum ersten Mal seit langer Zeit rieche ich bewusst den Duft des Kaffees.
Ich habe keine Ahnung, wie lange ich durch Portobello geschlendert bin, aber ich kann mit Gewissheit sagen, dass ich eine halbe Ewigkeit staunend vor den goldenen Ringen mit dem Kaleidoskop aus bunten nepalesischen Halbedelsteinen gestanden und die raffinierten Bilderrahmen aus alten Schreibmaschinentasten bewundert habe.
Meine Güte, ich habe völlig vergessen, welchen Spaß ein Flohmarktbesuch machen kann, denke ich versonnen, als mir eine gelbe Bluse im Indien-Stil an einem Ständer ins Auge fällt. Sie flattert in der warmen Brise, und die Sonne spiegelt sich wie tausend Diamanten in den winzigen Münzen, die entlang des Ausschnitts aufgenäht sind. Ehe ich mich’s versehe, verwickle ich den Standbesitzer mit den Dreadlocks in hitzige Verhandlungen und schwatze sie ihm am Ende für sechs Pfund ab. Sechs Pfund! Unglaublich! Kein Wunder, dass ich früher meine Sachen auf dem Markt gekauft habe.
Begeistert gehe ich weiter, bereit für den nächsten tollen Schatz, der nicht lange auf sich warten lässt. Der Stand nebenan gehört einer winzigen Chinesin, die Vintage-Klamotten verkauft. Noch immer wie berauscht stürze ich mich in das Abenteuer und probiere so gut wie alles in der winzigen, provisorischen Umkleidekabine an. Der Großteil davon ist grauenhaft, manches sogar noch schlimmer als das, aber gerade als mein Enthusiasmus etwas nachlässt und meine Arme zu schmerzen beginnen, finde ich es: ein wunderschönes blaues Seidenkleid mit Wasserfallkragen, das ebenso gut für ein Monatsgehalt in der Vogue abgebildet sein könnte. Es ist absolut einzigartig, also kaufe ich es, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken.
Es gibt kein Halten mehr. An einem der nächsten Stände sind Schuhe ausgestellt. Beinahe atemlos vor Aufregung greife ich nach einem Paar goldener Stilettos. Oh, die sehen ja irre aus, und für diesen Preis, sage ich mir und schlüpfe hinein.Aua. Sie drücken an den Zehen. Ich versuche, meine Füße hineinzuzwängen, rutsche aber nur noch weiter darin herum. Diese Dinger sind einfach unbequem. Außerdem sieht der Plastikabsatz hässlich aus, stelle ich beim Blick in den Spiegel fest.
Ich erstarre. Was mache ich denn hier? Ich schlüpfe aus den Schuhen und stelle
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