Heute schon geträumt
das halb hinter einer Postkarte klemmt, die Mum und Dad von ihrer Türkei-Reise geschickt haben. Es ist einer dieser ausgelassenen Party-Schnappschüsse, der vor einigen Jahren aufgenommen wurde. Die Sonne hat das Papier ausgebleicht, trotzdem kann ich die Gesichter der Leute noch erkennen.
Ich lächle wehmütig. Da bin ich, ganz hinten, mit diesem grauenhaften Silberlidschatten, und neben mir steht Vanessa. Sie trägt wie üblich Schwarz und hat den Arm um Julian gelegt, der eine Hand hinter ihren Kopf hält und Hasenohren macht. Ich lächle. Damals hatten die beiden ständig nur Unsinn im Kopf. Ich drehe das Foto um und lese das Datum auf der Rückseite. »Meine Party zum 22. Geburtstag«, steht da.Wow, was für ein Zufall. Am Freitag werde ich 32, was bedeutet, dieses Foto wurde vor genau zehn Jahren aufgenommen. Ich betrachte es erneut und versuche, mir die Details in Erinnerung zu rufen.Vergeblich.
Der Kessel pfeift, und ich gieße heißes Wasser über den Teebeutel.Abwesend sehe ich zu, wie es sich tiefbraun färbt, während meine Gedanken auf Wanderschaft gehen. Was habe ich noch vergessen? Wer ist mir entfallen? Wie viele andere Make-up-Katastrophen habe ich zu meinem eigenen Wohl von meiner gedanklichen Festplatte gelöscht?
Ich lasse meinen Tee stehen, hole die Taschenlampe und tappe barfuß in den Flur. Unter den Stufen ist ein winziger Raum, den ich als Abstellkammer nutze. Ich bücke mich und krieche hinein. Es ist staubig und voller Spinnweben. Igitt, ich habe Panik vor Spinnen. Ich hole tief Luft und versuche, mir die Anweisungen aus Die Angst wahrnehmen und sich ihr trotzdem stellen ins Gedächtnis zu rufen. Auch wenn diese Angst schwarz ist und acht behaarte Beine hat.
Ich verbiete mir die Vorstellung, wie mir eine auf den Kopf fallen oder in den Kragen meines Morgenmantels krabbeln könnte (und denke natürlich an nichts anderes als daran, wie mir eine auf den Kopf fällt oder in den Kragen meines Morgenmantels krabbelt), und beginne herumzukramen. Irgendwo hier muss es sein, ganz bestimmt … Weihnachtskugeln, ein uraltes Teeservice von meiner Großmutter, alte Klamotten, die ich aufhebe für den Fall, dass sie wieder in Mode kommen. Ich halte eine ausgebleichte, zerschlissene Levi’s 501 mit einem bunten Flicken auf dem Knie in die Höhe.Tja …
Ah, hier. Hinter ein paar verstaubten Koffern entdecke ich die altmodische Hutschachtel. Ich ziehe sie hervor, trage sie ins Wohnzimmer und stelle sie auf den Boden. Im Schneidersitz lasse ich mich davor nieder und nehme den staubigen Deckel ab.
Die Schachtel ist voller Fotos. Heutzutage, wo alles in Digitalform aufgenommen wird, hat kaum noch jemand Abzüge. Jeder speichert seine Fotos auf dem Computer - ich habe eine Aufnahme von Miles und mir bei seinem Geburtstag im letzten Jahr als Bildschirmschoner -, aber früher bin ich regelmäßig ins Fotogeschäft gepilgert, um Filme entwickeln zu lassen. Die Fotos habe ich brav in Alben eingeklebt, von denen ich Dutzende besitze.
Willkürlich picke ich eines der Alben heraus und blättere darin, dann ein anderes, und noch eines, bis ich finde, wonach ich gesucht habe. Ein Album mit Fotos von mir, als ich 21 war. Mit neu erwachter Neugier schlage ich es auf. Damals war ich noch ganz neu in London, und es gibt massenweise Fotos von Partys, im Pub und bei Picknicks. Hier ist eine Aufnahme von einer der vielen Weihnachtspartys in dem Haus in Kilmaine Terrace, bei der ich mit Simon, einem Arbeitskollegen, im Bett gelandet bin. Oje, was habe ich das am nächsten Morgen bereut.
Oh, und da sind Vanessa und ich, wie wir beim Karneval in Notting Hill abfeiern - kurz nachdem das Foto aufgenommen wurde, fiel ich im Suff ins Gebüsch und verstauchte mir den Fuß. Ich konnte monatelang keine hohen Schuhe mehr tragen. Es tat fürchterlich weh. Ehrlich.
Ich schlage die Seite um. Und da bin ich wieder, diesmal in Schlaghosen mit Schockmuster, die ich irgendwo in Camden Market erstanden hatte. Ich war sicher, dass sie mir ganz ausgezeichnet standen, aber aus heutiger Sicht muss ich zugeben, dass sie mich aussehen lassen, als hätte ich mich mit einem Sofabezugsstoff eingekleidet. Ein Paradebeispiel für einen modischen Fehlgriff. Heute würde ich mich in so etwas nicht mal zum Bäcker trauen.
Ich halte inne, als mir ein Gedanke kommt, wächst … Moment mal.Wenn ich die Bettgeschichte mit Billy »Möchtegern-Rockstar« Romani und damit fürchterlichen Liebeskummer verhindern kann, wieso dann hier aufhören? Was ist
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