Heute schon geträumt
Speisekarte und verschanze mich dahinter.
Kapitel 19
Als ich nach Hause komme, ist es kurz vor zehn. Ich lasse meine Tasche in der Diele fallen und trete mir die Pumps von den Füßen. Diese Dinger bringen mich noch um. Barfuß tappe ich ins Wohnzimmer, werfe mich aufs Sofa und schalte den Fernseher ein. Nur ein paar Minuten, bevor ich mich an die Arbeit mache, die ich aus dem Büro mitgebracht habe, sage ich mir, lümmle mich in die Kissen und unterdrücke ein Gähnen.
Gott, ich bin völlig erledigt.Viel zu wenig Schlaf, weil ich die halbe Nacht auf war und mir all die Fotos angesehen habe. Apropos … Mein Blick schweift über die Alben und die Stapel loser Fotos, die auf dem Teppich verstreut liegen. Wie üblich war heute Morgen die Zeit zu knapp, um sie aufzuräumen. Aber jetzt sollte ich es lieber tun, bevor morgen die Putzfrau kommt.
Ich finde es toll, eine Putzfrau zu haben. Das ist einer der Vorteile des Alters - sich den Luxus einer Putzfrau gönnen zu können. Das Ironische dabei ist nur, dass ich häufig anfange zu putzen, weil ich weiß, dass am nächsten Tag die Putzfrau kommt, und ich nicht will, dass sie mich für schlampig hält.
Gerade als ich mich vom Sofa hieve und anfangen will, läutet mein BlackBerry. Ich sehe aufs Display. Beatrice.
»Und hast du die Profiteroles gegessen?«, fragt sie.
»Wie bitte?«
»Als Dessert.«
»Ich … äh … nein, wir haben nur grünen Tee getrunken.«
»Nur Tee?«, ruft sie. »Was für eine Schande. Dabei sind sie sooo lecker!«
Ich sehe auf die Uhr. »Beatrice, rufst du mich ernsthaft um diese Zeit an, um mit mir über das Dessert zu reden? Es ist schon ziemlich spät …«
»Oh. Äh, nein, tut mir leid.« Sie klingt atemlos. Beatrice klingt immer atemlos, selbst wenn sie reglos auf ihrem Stuhl sitzt. »Ich wollte hören, wie der Termin mit Larry Goldstein gelaufen ist, ob du morgen früh gleich irgendwelche Fakten oder Informationen brauchst.«
Meine Ungeduld schlägt in Dankbarkeit um. Manche Menschen haben Assistenten. Aber nur wenige haben eine Beatrice.
»Es ist sehr gut gelaufen«, erkläre ich und klemme mir das BlackBerry zwischen Kinn und Schulter, damit ich nebenbei die Fotos aufräumen kann. »Offenbar ist er sehr beeindruckt von meinenVorschlägen und Ideen für die richtige Location. Wir haben vereinbart, uns am Montag noch einmal wegen der letzten Details für die Pressemeldung abzustimmen.«
»Oh, bravo!«, jubelt sie. »Soll ich gleich in den Kalender sehen, ob du frei bist? Ich habe ihn hier …«
Wie gesagt - Beatrice nimmt die Verwaltung des Kalenders sehr ernst.
»Okay, prima.«
Ich wende mich von den Fotos ab. Meine Güte, es gibt so viele davon, und ich habe immer noch nicht alle Alben durchgeblättert. Müßig nehme ich zwei aus der Schachtel. Moment mal, was ist denn das? Das eine ist etwas kleiner und ledergebunden. Ich schlage es auf und stelle fest, dass es keine Fotos, sondern nur mit meiner Handschrift gefüllte Seiten enthält. Oh, wow, ein altes Tagebuch. Und hier sind noch mehr.
Ich krame in den Tiefen der Schachtel und entdecke eines mit einer eingeprägten Jahreszahl. 1997. Mein Herz macht einen Satz. Das hier habe ich mit 21 geschrieben.
»Also, mal sehen. Um neun hast du eine Konferenzschaltung mit den Leuten von Cloud Nine, um die neusten aromatisierten Wassersorten zu besprechen. Um zehn steht ein Kaffee mit Katie Proctor, der Journalistin, drin, und um elf ein Termin …«
Während Beatrice meine Verpflichtungen herunterbetet, lese ich mein Tagebuch von vor zehn Jahren. Ich entdecke den Eintrag meines ersten Tages in London. 23. Februar 1997 - die Beschreibung meines Büros, meines neuen Chefs und meine erste Begegnung mit Nessy: Da stand eine große Blonde mit Zigarette vor dem Haus. Sehr cool, aber fast ein bisschen beängstigend. Sie hat gesagt, sie heißt Vanessa, wie der Name der Geliebten von Jonathan Swift, dem Autor von »Gullivers Reisen«. Ich hoffe, wir werden Freundinnen.
Ich lächle und blättere weiter zum Datum von heute, während ich überlege, was ich wohl heute vor zehn Jahren gemacht habe.
Es ist alles so spannend! Den ganzen Tag kann ich mich kaum konzentrieren!
Hä? Ich frage mich, was so spannend gewesen sein mag.
Die ganze Woche habe ich mich schon so darauf gefreut, die Band zu sehen. Es war spitze! Shattered Genius waren einfach absoluter Wahnsinn!
Moooment mal!
Stirnrunzelnd mustere ich den Eintrag. Ich war beim Shattered-Genius-Konzert? Aber das kann doch nicht
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