Heute schon geträumt
wohin geht’s dann?«
»In einen Club!«, verkündet sie.
»In einen Club?« Mein Lächeln gefriert. Oh Mist. Ich habe völlig vergessen, wie gern ich durch die Clubs gezogen bin, aber nun schlägt mir die Erinnerung mit voller Wucht ins Gesicht. Trockeneis. Zuckendes Stroboskop. Ohrenbetäubend hämmernde Musik. »Aber heute ist doch Sonntag, oder?«, hake ich hoffnungsvoll nach. »Stimmt, aber morgen ist Feiertag, deshalb ist im Canal Club heute Partynacht.« Sie strahlt. »Du kommst doch mit, oder?«
»Äh …«, stammle ich.
Ich? In einen Club? Ich gehe nicht in Clubs. Nicht mehr. Ich mache Pilates und Yoga, und wenn ich Rückenschmerzen habe, lasse ich mir Akupunkturnadeln setzen.
»Natürlich, du Dummchen! Du bist eingeladen!«
Ich durchwühle mein Gedächtnis, als wäre es eine Sockenschublade und ich auf der Suche nach einem passenden Paar. Nur dass ich kein Pendant zu meiner Erinnerung an den heutigen Abend finde.Andererseits sind zehn Jahre vergangen, und ich war damals sturzbetrunken. Ehrlich gesagt ist meine Erinnerung an jeden meiner Geburtstage bis zum dreißigsten etwas vage.
Für den Bruchteil einer Sekunde überlege ich, ob ich kneifen und nach Hause fahren soll, aber bevor ich Gelegenheit dazu habe, hakt sie sich bei mir unter und stößt einen triumphierenden Kampfschrei aus. »Auf geht’s, Partytime!«
Es ist zu spät.
Hiiiilfe.
Der Club ist nur wenige Straßen entfernt, so dass wir zu Fuß hingehen - okay, ich gehe, wohingegen Lottie, die zum ersten Mal, seit ich sie kennen gelernt habe, hohe Schuhe trägt, auf ihren fast zehn Zentimeter hohen Absätzen über das Pflaster trippelt und leise kichert. Sie trägt ein Kleid mit Kornblumenmuster, das ich irgendwann mal auf dem Flohmarkt erstanden habe. Ich weiß noch, dass ich eine halbe Ewigkeit mit der Standbesitzerin handeln musste, bis ich es mir endlich leisten konnte, obwohl es nur ein paar Pfund gekostet hat.
Heute kann ich mir ja Designerklamotten leisten.Was ich mir jedoch nicht leisten kann, ist die Zeit, sie einkaufen zu gehen, deshalb bestelle ich eine Menge aus dem Internet, und auch das meistens nur zweimal im Jahr - einmal im Sommer und einmal im Winter. Früher war ich notorisch pleite, und meine Garderobe rekrutierte sich vorwiegend aus Secondhandläden oder dem Flohmarkt, und ich brachte ganze Wochenenden damit zu, mich auf der Suche nach Schnäppchen durch die Stände in Camden oder Portobello zu arbeiten.
So kam ich auch zu diesem Kleid, das ich am Ende für die Hälfte des ursprünglichen Preises einsackte, weil einer der Träger abgerissen war. Den ich allerdings nie angenäht habe, wie ich jetzt mit einem Hauch Verlegenheit feststelle, denn er ist noch immer mit einer Sicherheitsnadel befestigt. Wie konnte ich nur so durch die Gegend laufen? Automatisch zupfe ich ein paar Flusen vom Revers meiner Jacke.War mir das damals egal? Offenbar ja, denke ich und betrachte mit einem Hauch Missbilligung mein jüngeres Ich, das fröhlich und scheinbar völlig unbesorgt an einer Zigarette zieht.
Vor uns sehe ich eine Schlange, die bis um die nächste Straßenecke reicht. Wow, was machen denn all die Leute hier?, ist mein erster Gedanke. Was mag hier los sein? Und dann kommt der zweite Gedanke: Heiliger Strohsack, genau in dieser Schlange werden wir uns jetzt gleich anstellen.
Lottie scheint die Menge nicht zu bemerken, sondern steuert zielstrebig die Tür an und strahlt dem Türsteher ins Gesicht - ein riesiger Jamaikaner mit einem Bizeps wie Wassermelonen und einem Grinsen, das ich nicht recht deuten kann. Das blanke Entsetzen packt mich bei seinem Anblick. Oh Gott, was soll das hier werden? Was tue ich hier? Ich winde mich bei der Vorstellung, welche Blamage mir blüht, wenn der Typ mich gleich vor den Augen all dieser Leute eiskalt abserviert.
Ich korrigiere: all dieser Kids. Mein Blick schweift über die Schlange aus Baseballmützen, Tattoos im Keltenstil und Bauchnabelpiercings, während ich feststelle, dass sich das Durchschnittsalter bei etwa zwanzig Jahren einpendelt. Vielleicht sogar noch jünger, denke ich beim Anblick eines Grüppchens superdünner Mädels in Mikro-Minis und Wangen, auf denen etwas blüht, das verdächtig nach Teenagerakne aussieht. Mein Blick wandert wieder zum Türsteher, der sich genau in dieser Sekunde in seiner ganzen Pracht Lottie zuwendet - in dieser zeitlupenartigen Geschwindigkeit, wie man sie in alten Dinosaurierfilmen sieht, wenn die Leute schreiend vor dem gewaltigen, behaarten
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