Hex Hall 01 - Hawkins, R: Hex Hall 01
und sah an mir vorbei zur Treppe, »hätte ich lieber so jemanden als Zimmergenossin als eine hochnäsige Elfe.«
Wieder sah sie mich an. »Mit was wohnst du zusammen?«
Die Art, wie sie was sagte, gefiel mir nicht, daher war mein Ton ein wenig scharf, als ich antwortete: »Jenna Talbot.«
Ihre Augen wurden groß. »Mann. Der Vampir?« Sie kicherte. »Vergiss es. Da ziehe ich doch jederzeit eine zickige Elfe vor.«
»So schlimm ist sie gar nicht«, sagte ich sofort.
Taylor zuckte die Achseln und griff sich die Fernbedienung, die sie eben nach Nausicaa geworfen hatte. »Wenn du meinst«, murmelte sie, während sie den Fernseher wieder einschaltete.
Offenbar war unser Gespräch beendet, also machte ich mich auf den Weg in den ersten Stock. Dort lag das Jungenreich, weshalb ich mich nicht genauer umschauen konnte. Die Aufteilung der Räume war identisch mit der im zweiten Stock, aber ihr Wohnbereich sah noch übler aus als unserer. Aus einem der Sofas quoll die Polsterung heraus, und ein Klapptisch lehnte schief in der Ecke. Es war zwar niemand da, aber ich spähte in einen der Flure hinein. Justin versuchte gerade, einen riesigen Schrankkoffer in einen Raum zu manövrieren, der vermutlich sein Zimmer war. Er machte eine Pause, und seine Schultern sackten mutlos herab. Er tat mir ein bisschen leid. Als ich bemerkte, wie er sich abmühte, einen Koffer vor sich herzuschieben, der fast genauso groß war wie er selbst, dachte ich, dass er, bösartiger Werwolf hin, bösartiger Werwolf her, doch letztlich noch ein Kind war. Auf einmal drehte er sich um, sah mich und – das ist kein Scherz – knurrte.
Ich eilte die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Dort unten war es still. Ich sah nur ein paar Leute herumhängen, darunter einen hochgewachsenen, schon ziemlich männlich aussehenden Jungen in Jeans und Flanellhemd. Ich fragte mich, ob er der ältere Bruder von jemand war, da er zu alt schien, um Hecate Hall zu besuchen. Außerdem trug er statt der Khakihosen Jeans.
Meine Schritte wurden von einem dicken Orientteppich in verschlungenen Rot- und Goldtönen gedämpft, als ich in einen der Gänge einbog, die von der Eingangshalle abzweigten.
Ich spähte in den ersten Raum hinein, zu dem ich kam. Er sah aus, als wäre er mal ein Speisesaal gewesen oder vielleicht ein großer Salon. Die Wand gegenüber der Tür bestand ganz aus Fenstern, so dass ich endlich einen guten Ausblick auf das Gelände bekam. Man konnte einen kleinen See mit einem Anleger und einer hübschen baufälligen Hütte sehen. Aber was mir wirklich ins Auge stach, war all das Grün. Das Gras, die Bäume, die dünne Schicht Algen auf dem Teich, von dem ich dringend hoffte, dass wir nicht auf ihm paddeln müssten oder so was … So viel leuchtendes Grün, das einem schon in den Augen wehtat, hatte ich noch nie gesehen. Selbst die schweren Wolken, die gerade anzuschwellen begannen und ein nachmittägliches Gewitter androhten, wirkten gelbgrün.
Auch der Teppich in diesem Raum war grün, und er fühlte sich unter meinen Füßen weich, beinahe matschig an, so dass ich an Moos oder Pilze dachte. Die drei anderen Wände waren mit Bildern bedeckt. Jedes einzelne zeigte das gleiche Motiv: eine Gruppe von Prodigien, die sich auf der Veranda versammelt hatte. Ich wusste nicht, ob es Hexen oder Gestaltwandler waren, Elfen waren jedenfalls nicht dabei. Ein winziges, goldenes Schild am unteren Rand eines jeden Rahmens verriet das Jahr, beginnend mit 1903 und endend jeweils mit einem Foto vom vergangenen Jahr, gleich rechts neben der Tür.
Auf dem ältesten Bild befanden sich nur sechs Erwachsene, und sie alle wirkten furchtbar finster, als würden sie zum Zeitvertreib gern Kätzchen treten. Jüngere Prodigien tauchten erst ab dem Jahr 1967 auf. Ich fragte mich, ob es das Jahr war, in dem Hecate Hall in eine Schule umgewandelt worden war. Und falls das stimmte, was war es dann vorher gewesen?
Im letzten Jahr waren es fast hundert Kinder, und sie sahen deutlich entspannter aus. Ich entdeckte Jenna in der vordersten Reihe, neben einem größeren Mädchen. Sie hatten sich die Arme um die Schultern gelegt, und ich fragte mich, ob das die mysteriöse Holly sein mochte.
Um ehrlich zu sein, ich war ein wenig neidisch. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, jemals mit jemandem so befreundet zu sein, um ihm oder ihr auf einem Foto lässig den Arm um die Schultern zu legen. Auf all meinen Schulfotos war ich immer diejenige, die allein in der hinteren Reihe stand, die Haare vorm
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