Hex Hall 01 - Hawkins, R: Hex Hall 01
spürte, wie sich die feinen Härchen in meinem Nacken aufstellten. Jetzt wusste ich wieder, warum mir das so bekannt vorgekommen war. Ich hatte es einmal in einem von Moms Büchern gesehen. Damals war ich ungefähr dreizehn und hatte einfach müßig in den Seiten geblättert und die glänzenden Bilder berühmter Hexen bewundert. Dann war ich auf ein Bild gestoßen, das die Hinrichtung einer Hexe in Schottland zeigte, etwa um das Jahr 1600 herum. Das Bild war so grauenhaft, dass ich nicht aufhören konnte, es anzustarren. Auch jetzt sah ich die Hexe wieder auf dem Rücken liegen, an ein Holzbrett gefesselt. Ihr blondes Haar fiel über den Boden, und auf ihrem Gesicht stand ein Ausdruck puren Entsetzens. Über ihr ragte ein dunkelhaariger Mann mit einem silbernen Messer in der Hand auf. Er hatte kein Hemd an, und direkt über seinem Herzen war eine Tätowierung zu sehen – ein schwarzes Auge mit einer goldenen Iris.
»Früher waren wir ohne Weiteres imstande, uns gegen diese drei Gruppen zu verteidigen, doch da gingen sie noch getrennt vor und lagen miteinander im Streit. Jetzt jedoch haben wir Nachricht erhalten, dass sie möglicherweise eine Art von Friedensabkommen schließen wollen. Wenn das geschieht …« Sie seufzte. »Nun, wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass es so weit kommt.«
Das Auge verschwamm, Mrs Casnoff aber klatschte in die Hände. »Genug davon. Ihr habt morgen einen langen Tag vor euch, daher dürft ihr jetzt gehen. Licht aus in einer halben Stunde.«
Sie klang so munter und geschäftsmäßig, dass ich mich fragte, ob ich den Teil ihrer Ansprache, in dem sie uns im Prinzip mitgeteilt hatte, dass wir alle umgebracht werden würden, halluziniert hatte. Ein Blick auf die anderen Schüler sagte mir jedoch, dass meine Kameraden genauso unter Schock standen wie ich.
»Immerhin«, sagte Archer und schlug sich auf die Schenkel. »Das war neu.«
Bevor ich noch fragen konnte, was er damit meinte, war er schon aufgesprungen und verschwand in der Menge.
8
Weil er mit seinen langen Beinen so große Schritte machte, musste ich beinahe rennen, um Archer einzuholen.
Als ich ihn dann erreichte, war er schon halb die Treppe hinauf.
»Cross!«, rief ich. Ich konnte mich einfach nicht überwinden, »Archer« zu sagen. Ich wäre mir vorgekommen wie in einem Miss-Marple-Film: »Archer! Genehmigen wir uns ein Schlückchen Tee, alter Knabe!«
Er hielt auf der Treppe inne und drehte sich um. Schockierenderweise grinste er aber nicht.
»Mercer«, antwortete er, und ich rollte mit den Augen.
»Hör mal, was meintest du eben mit ›Das war neu‹? Ich dachte, du hättest das alles schon mal gesehen.«
Er kam ein paar Schritte herunter. »Habe ich auch«, sagte er, als er nur noch zwei Stufen über mir stand. »Vor drei Jahren, als ich vierzehn war. In meinem ersten Jahr hier. Aber damals war es anders.«
»Inwiefern?«
Er schlüpfte aus seinem Blazer und rollte die Schultern, als wäre die Jacke schwer gewesen. »Sie hatten auch da schon diese Charles-Walton-Geschichte drin; das scheint eins ihrer Lieblingsstücke zu sein. Und auch den Werwolf, der erschossen wird, und vielleicht ein oder zwei brennende Elfen. Aber es waren nicht so viele Bilder. Und sie waren nicht alle gleichzeitig zu sehen, so wie heute.«
Er sah auf mich herunter, als versuchte er, mich einzuschätzen. »Und auch keine gehängten Hexen und Zauberer. Ich muss gestehen, ich bin ein wenig beeindruckt.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und machte ein finsteres Gesicht. Die Art, wie er mich ansah, gefiel mir nicht. »Beeindruckt wovon?«
»Als ich diese Show vor drei Jahren sah, musste ich in das kleine Klo dort drüben rennen« – er zeigte auf eine schmale Tür auf der anderen Seite der Eingangshalle – »und mir die Eingeweide aus dem Leib kotzen. Was wir allerdings heute Abend gesehen haben, das war noch viel schlimmer, und du bist nicht mal blass geworden. Du bist härter, als ich dachte.«
Ich unterdrückte ein Lachen. Mein Gesicht wirkte vielleicht ruhig, aber in meinem Bauch ging es immer noch zu wie bei einem Heavy-Metal-Kampfgetümmel in der Disco. Flüchtig amüsiert von der Vorstellung meiner Eingeweide als Kampftänzer mit Eyeliner und zerrissenen Jeans bedachte ich Archer mit einem Blick, von dem ich hoffte, dass er coole Lässigkeit vermittelte. »Ich glaube das alles einfach nicht.«
Er zog eine Augenbraue hoch, was mich ziemlich neidisch machte. Ich habe das noch nie hingekriegt. Irgendwie ziehe ich
Weitere Kostenlose Bücher